Der Lockruf der „schönen Frau“
Der 66-Jährige formte Atalanta zu einem europäischen Spitzenteam.
eht man nach handelsüblichen Fußballvorurteilen, muss Gian Piero Gasperini ein Mann der Widersprüche sein. Italiener werden gemeinhin als Defensiv-Apostel abgestempelt, der Trainer von Atalanta Bergamo orientiert sich gerne an Offensiv-Papst Johan Cruyff und steht für schönen und offensiven Fußball. Wie man die Herzen der Fans erobert, hat der 66-Jährige schon mehrmals bewiesen. Jene der Spieler erreichte der „Grantler“, der nicht gerade als Diplomatiefanatiker gilt, in seiner langen Karriere nicht immer.
Gerade Stars taten sich mit dem streitbaren Charakter mitunter schwer. Vielleicht liegt es daran, dass Gasperini zwar rund 800 Matches auf hohem Niveau coachte, aber nur deren fünf in Diensten eines Großklubs – bei Inter Mailand musste er 2011 bereits nach fünf Partien gehen. Sein Ruf als Spielerentwickler ist dafür tadellos. Dies freute auch den SK Sturm. Gasperini entwickelte den aus Graz gekommenen Stürmer Rasmus
GHøjlund gekonnt weiter. Manchester United überwies rund 75 Millionen Euro nach Bergamo, knapp drei Millionen davon gingen als Weiterverkaufsbeteiligung an Sturm.
Im Finale der Europa League zeigte der Coach mit Atalanta dem deutschen Meister Bayer Leverkusen mit dem neuen Trainer-Wunder Xabi Alonso beim klaren 3:0 die Grenzen auf. Es war sein erster Titelgewinn überhaupt. Vielleicht verstehen nun mehr Leute, warum ihn José Mourinho einst als „taktisch größten Widersacher“bezeichnete. Kein Wunder, dass nun im eher höheren Traineralter doch noch der Sprung zu einem ganz großen Namen gelingen könnte. Napoli klopft an, und Gasperini befindet sich nach langen acht Jahren als Held in Bergamo, wo er aus einem Mittelständler einen Champions-League-Aspiranten formte, im inneren Widerspruch: „Es gleicht einer seltsamen Situation, in der ich verheiratet bin und Kinder habe, aber eine absolut schöne Frau treffe.“
Die Meinung in diesem Gastkommentar muss sich nicht mit jener der Redaktion decken.