Leitkultur: Toleranz ist kein Watschentanz
WDfragt sich, welche kulturellen Werte in Österreich Bindekraft besitzen. ie könnte eine österreichische Leitkultur abseits von Schnitzel nach Mailänder Art und dressierten Pferden aus Lipica aussehen? Am besten sprachkritisch wie Wittgenstein, tänzerisch wie Johann Strauß junior und grantig wie ein Wiener Oberkellner. Gegen die gewundene Art, mit der sich manche Mandatare aus jeder Fragestellung herauszuwinden verstehen, hülfe Ludwig Wittgensteins Grundsatz: „Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“
Eine Leitkultur müsste ein Leitfaden sein, der uns aus dem Labyrinth einer unübersichtlichen Gegenwart führt. Österreich war einst ein Vielvölkerstaat, da sollte es ein Leichtes sein, die Einwanderungswilligen an der Grenze mit einer kleinen Tanzdarbietung zu empfangen. Seht her, das ist unsere Lebensart, zu unseren Walzern und Polkas wiegt und dreht sich die halbe Welt, bis es allen schwindlig wird. Anschließend werden den Fremden durch einen chronisch übellaunigen Kellner die Grenzen unserer Gastfreundschaft aufgezeigt. Als Grundausbildung gibt es eine Runde Katzbuckeln, alternierend mit Hackelschmeißen. Da der Bedarf an Pflegekräften groß ist, darf man dem Zöllner bei der Toilette behilflich sein. Wer das übersteht, kann österreichischen Boden betreten. as österreichische Idiom ist ja leicht zu beherrschen, man muss dafür nicht einmal Deutsch können. Einfach bellen wie ein Steirer, raunzen wie ein Wiener, knödeln und knacken wie ein Tiroler. Groß hinter die Ohren schreiben: Bei uns sind Mann und Frau gleichberechtigt, außer beim Einkommen. Einer Frau an allen Tagen die Hand geben. Niemandem wegen Glaubensfragen den Kopf abhacken. Toleranz ist kein Watschentanz. Wittgenstein schrieb einem Bekannten einmal: „Sie machten eine Bemerkung über ‚Nationalcharakter‘, die mich in ihrer Primitivität erschüttert hat.“So „gefährliche Ausdrücke“solle man meiden. Den Begriff „Leitkultur“hat er nie verwendet.
„Einfach bellen wie ein Steirer, raunzen wie ein Wiener, knödeln und knacken wie ein Tiroler.“
lebt als Schriftsteller in Graz.