Freiheit gegen Feigheit
Der tödliche Anschlag von Brüssel verweist wieder auf die Verletzlichkeit des Rechtsstaats. Einfache Wege zur Eindämmung der Gefahr gibt es jedoch nicht.
Die tödlichen Schüsse von Brüssel reißen uns aus einer trügerischen Hoffnung, die nach den jüngsten weltpolitischen Entwicklungen sowieso kaum mehr vorhanden war. Das Attentat leuchtet nämlich grell den unangenehmen Umstand aus, dass wir weiterhin mit dem schaurig-schönen Doppelcharakter der offenen Gesellschaft leben müssen.
Sie bietet einerseits ein Höchstmaß an Freiheit, das weltweit so hoch im Kurs steht, dass Zehntausende Menschen sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, um künftig in dieser Gesellschaft leben zu dürfen. Aber zugleich ist dieses System überaus anfällig für jede Art von hinterhältiger Attacke. Wer es darauf anlegt, Schaden anzurichten und Schrecken zu verbreiten, der hat es in unserer rechtsstaatlichen Ordnung viel leichter als anderswo.
In diesem gegebenen Rahmen muss die erste Antwort jene sein, die auf jeden niederträchtigen Angriff notwendig ist: Wir werden gewiss nicht die Freiheit für die Sicherheit opfern, denn sonst laufen wir Gefahr, beides zu verlieren. Totale Kontrolle ist in unserer Form der rechtsstaatlichen Ordnung nicht möglich. Attentate mit Schusswaffen auf offener Straße lassen sich nicht absolut verhindern.
Trotzdem – oder gerade deshalb – dürfen wir es nicht bei dieser zu simplen Antwort belassen. Denn der Attentäter von Brüssel war den Behörden prinzipiell als potenzieller Gefährder bekannt, auch wenn Details noch fehlen. Das ist eine bedenkliche Parallele zu anderen derartigen Vorfällen. Auch der Attentäter von Wien 2020 war ein polizeibekannter Islamist. Kurz vor dem Anschlag hatte zusätzlich die slowakische Polizei vor dem Mann gewarnt, weil er Munition kaufen wollte. Reagiert hat man darauf nicht.
Die Vermutung liegt nahe, dass unsere Behörden die einschlägige Szene der radikalisierten Fanatiker, die potenziell islamistisch infizierbar sind, zwar recht gut im Blick hat, dass
Betreff: aber für solche unspezifischen Verdachtslagen keine adäquaten Mittel zu Gebote stehen. Solche Mittel sind auch schwer zu finden. Denn jede Art von Präventivverfolgung verletzt den Strafrechtsgrundsatz, dass mindestens ein qualifizierter Tatbegehungsversuch vorliegen muss, um staatliches Zwangshandeln zu gestatten.
Wir müssen vermutlich an vielen kleinen Schrauben drehen, um das Netz der Beobachtung, Ansprache und Vorbeugung enger zu weben. Gewiss darf nie der Boden der Menschenrechte verlassen werden, aber auch jede Art von Wegschauen und Beschönigen wäre falsch. Und es geht letztlich weniger um neue Gesetze als um den effizienten Vollzug der alten: Viel zu viele abgelehnte Asylwerber tauchen in Europa einfach unter, ohne dass sich jemand weiter um sie kümmert. erade, wenn wir offen und gastfreundlich bleiben wollen, brauchen wir eine Begradigung dieser Flanken. Das muss durch klare Regeln geschehen, die auch durchgesetzt werden. Damit die Friedensgarantie des Rechtsstaats weiter weltweit strahlt.
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