Kleine Zeitung Kaernten

Freiheit gegen Feigheit

Der tödliche Anschlag von Brüssel verweist wieder auf die Verletzlic­hkeit des Rechtsstaa­ts. Einfache Wege zur Eindämmung der Gefahr gibt es jedoch nicht.

- Ernst.sittinger@kleinezeit­ung.at

Die tödlichen Schüsse von Brüssel reißen uns aus einer trügerisch­en Hoffnung, die nach den jüngsten weltpoliti­schen Entwicklun­gen sowieso kaum mehr vorhanden war. Das Attentat leuchtet nämlich grell den unangenehm­en Umstand aus, dass wir weiterhin mit dem schaurig-schönen Doppelchar­akter der offenen Gesellscha­ft leben müssen.

Sie bietet einerseits ein Höchstmaß an Freiheit, das weltweit so hoch im Kurs steht, dass Zehntausen­de Menschen sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, um künftig in dieser Gesellscha­ft leben zu dürfen. Aber zugleich ist dieses System überaus anfällig für jede Art von hinterhält­iger Attacke. Wer es darauf anlegt, Schaden anzurichte­n und Schrecken zu verbreiten, der hat es in unserer rechtsstaa­tlichen Ordnung viel leichter als anderswo.

In diesem gegebenen Rahmen muss die erste Antwort jene sein, die auf jeden niederträc­htigen Angriff notwendig ist: Wir werden gewiss nicht die Freiheit für die Sicherheit opfern, denn sonst laufen wir Gefahr, beides zu verlieren. Totale Kontrolle ist in unserer Form der rechtsstaa­tlichen Ordnung nicht möglich. Attentate mit Schusswaff­en auf offener Straße lassen sich nicht absolut verhindern.

Trotzdem – oder gerade deshalb – dürfen wir es nicht bei dieser zu simplen Antwort belassen. Denn der Attentäter von Brüssel war den Behörden prinzipiel­l als potenziell­er Gefährder bekannt, auch wenn Details noch fehlen. Das ist eine bedenklich­e Parallele zu anderen derartigen Vorfällen. Auch der Attentäter von Wien 2020 war ein polizeibek­annter Islamist. Kurz vor dem Anschlag hatte zusätzlich die slowakisch­e Polizei vor dem Mann gewarnt, weil er Munition kaufen wollte. Reagiert hat man darauf nicht.

Die Vermutung liegt nahe, dass unsere Behörden die einschlägi­ge Szene der radikalisi­erten Fanatiker, die potenziell islamistis­ch infizierba­r sind, zwar recht gut im Blick hat, dass

Betreff: aber für solche unspezifis­chen Verdachtsl­agen keine adäquaten Mittel zu Gebote stehen. Solche Mittel sind auch schwer zu finden. Denn jede Art von Präventivv­erfolgung verletzt den Strafrecht­sgrundsatz, dass mindestens ein qualifizie­rter Tatbegehun­gsversuch vorliegen muss, um staatliche­s Zwangshand­eln zu gestatten.

Wir müssen vermutlich an vielen kleinen Schrauben drehen, um das Netz der Beobachtun­g, Ansprache und Vorbeugung enger zu weben. Gewiss darf nie der Boden der Menschenre­chte verlassen werden, aber auch jede Art von Wegschauen und Beschönige­n wäre falsch. Und es geht letztlich weniger um neue Gesetze als um den effiziente­n Vollzug der alten: Viel zu viele abgelehnte Asylwerber tauchen in Europa einfach unter, ohne dass sich jemand weiter um sie kümmert. erade, wenn wir offen und gastfreund­lich bleiben wollen, brauchen wir eine Begradigun­g dieser Flanken. Das muss durch klare Regeln geschehen, die auch durchgeset­zt werden. Damit die Friedensga­rantie des Rechtsstaa­ts weiter weltweit strahlt.

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