Ohne Halt und Haltung
Wenn sich Österreich auf seinen neutralen Status zurückzieht, offenbart es immer öfter Haltungsdefizite. Sie mindern den Ruf des Landes.
Für das Land scheint es gegenwärtig am vorteilhaftesten, wenn keiner von ihm Notiz nimmt. Eine windschiefe rot-weiß-rote Gondel, die am durchhängenden Seil baumelt und in die Tiefe zu stürzen droht, im Hintergrund Berge, die in ein schwarzblaues Dämmerlicht getaucht sind. So zeichnet der neue „Economist“Österreich. Die Illustration als Sinnbild, dass mit dem Land was nicht stimmt: Es schlingert verloren. Weiß nicht mehr, was seine Essenz und seine Idee ist. Kein Gleichgewicht und keine Souveränität, keine Substanz und kein Kompass. Opportunität als einzige Richtschnur, wo selbst ein nobles Klavier als kulturelle Signatur schon zur Selbstaufgabe nötigt. Die tragenden Kräfte in Identitätskrisen gefangen und die Ventilpartei auf dem Sprung zur Macht.
Das Zustandsbild des Londoner Magazins ist ein Panoptikum der jüngsten Verwerfungen. Vom außenpolitischen Irrlichtern ist die Rede, von der Umarmung des russischen Bären in der Hoffnung auf Gegenliebe, von den russischen Profiten der zweitgrößten Bank, Ibiza, den Chats und den moralischen Hohlräumen, die das halbe Establishment verschlangen. Das Land male sich gern als kleines Deutschland mit der anmutigeren Kulisse, aber das autoritäre Ungarn sei die plausiblere Analogie. Die richtungslose Republik gleichsam als trüber Gegenentwurf zum Seinerzeit, als beim Wiener Kongress noch die Nomenklatura des Kontinents Einkehr hielt, sich vergnügte und in den Meetings dazwischen an einer neuen, nachnapoleonischen Ordnung zimmerte. Jetzt sei das Land eher Risikofaktor und Beitragstäter der großen Unordnung als Ordnungsstifter. er Streit um die Frage, ob Österreich mithelfe, vor ukrainischen Schulen und auf Äckern Minen zu entschärfen, fügt sich ins Bild eines duckmäuserischen, aufs Eigenwohl bedachten Kleinstaats.
DDie ÖVP reagiert abweisend am Kern der Anfrage vorbei: Man sei der Neutralität verpflichtet und entsende keine Soldaten, so, als hätte das wer gefordert. Da war er wieder, der seltsame Tonfall der Kanzlerpartei, der so tut, als spreche man nach außen. Er roch nach demselben Berater-Kalkül wie der CoronaReue-Dunst, die Anbiederung an die Neigungsgruppe Kfz oder die Veto-Nummer gegen die Ost-Partner. Statt Zugewandtheit bot man politische Mimikry aus Schweißfurcht vor Kickl. Eine ängstliche Prinzipienlosigkeit ergreift Besitz von der Volkspartei und macht sie zum Getriebenen. uch die Schweiz ist neutral. Auch sie schickt keine Uniformierten. Aber sie wendet sich nicht ab, sondern unterstützt NGOs bei der Minenräumung und zählt zu den 15 größten Geberländern. Ihr Heer bildet ukrainische Entminungsfachleute aus und gibt Liveunterricht in verminten Gemeinden. Die Schweiz lässt keinen Zweifel daran, wo sie steht. Der Eindruck von nebenan: Land ohne Halt und Haltung.
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