Dunkle Zeiten für Mädchen in Afghanistan
HINTERGRUND. Seit mehr als einem Jahr sind die Taliban zurück an der Macht. Mädchen können nur noch im Verborgenen zur Schule gehen. Unsere anonyme Autorin über das Lernen im Schatten.
Als die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernahmen, schaute die Welt darauf, was für eine Politik sie gegenüber Mädchen und Frauen verfolgen würden. Ob sie den Mädchen erlauben würden, weiterhin in die Schule zu gehen, war ein Lackmustest.
Einige Monate nachdem die Sekundarschulen für Mädchen geschlossen worden waren, hatten die Taliban bekannt gegeben, dass es den Mädchen bald wieder erlaubt sein würde, in die Schule zu gehen. Hoffnungen auf eine Wiedereröffnung der Mädchenschulen mehrten sich im März. Just vor dem Beginn des neuen Schuljahres hieß es tatsächlich, alle Mädchen würden in die Schulen zurückkehren können. Am 23. März – der Tag, an dem die Schulen öffnen sollten – wurde dieser Beschluss kurzfristig zurückgenommen. Am 23. März wurden lediglich die Grundschulen wieder geöffnet, weiterSchulen blieben bis auf wenige Ausnahmen geschlossen.
Für die meisten Schülerinnen und Schüler fiel die Machtübernahme der Taliban mitten in das Schuljahr, das in der Mehrzahl der Provinzen vom 23. März bis zum 21. Dezember läuft. Für die Schülerinnen und Schüler in den südlichen, wärmeren Provinzen beginnt das Schuljahr am 6. September und läuft bis zum 5. Juni des darauffolgenden Jahres. Der Systemwechsel fand in den letzten Wochen der langen Sommerferien statt, als Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sich auf die Rückkehr in die Schule und das neue Schuljahr vorbereiteten. Durch die Pandemie und die sukzessive Eroberung der Provinzen war 2021 für den Bildungsbereich schon vor der endgültigen Machtübernahme der Taliban ein Jahr voller Unterbrechungen gewesen.
Das Bildungssystem der
bietet keine umfassende Allgemeinbildung. Doch schon vor der TalibanRegierung gab es in traditionellen und konservativen Gebieten entweder gar keine Schulen oder nur solche, die man von der ersten bis zur dritten oder sechsten Klasse besuchen konnte. Auch in Kabul gab es seitens der Familien entweder enormen Widerstand gegen die Ausbildung ihrer Mädchen oder zumindest geringe Ambitionen, ihnen Bildung zu ermöglichen. Dort, wo es Schulen gab, hielten es viele Familien für zu gefährlich, ihre Töchter dorthin zu schicken, oder sie nahmen sie raus, sobald sie das Teenageralter erführende reicht hatten. In vielen Provinzen konnten Buben vor der Machtübernahme der Taliban bis zur zwölften, Mädchen hingegen nur bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen. etzt ist es auch um die Bildung der Burschen schlecht bestellt. Die Schulen in der Stadt und der Provinz Kabul sind von den vielen weiblichen Lehrkräften abhängig. Da die Taliban aber verboten haben, dass Buben von Frauen unterrichtet werden, gibt es kaum noch jemanden, der den Unterricht für sie gewährleisten kann. So gibt es beispielsweise an einer Oberschule für Buben in KaTaliban
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bul 114 Lehrerinnen und bloß 18 Lehrer, die ohne ihre Kolleginnen nicht in der Lage sind, ein Programm für die oberen Schulklassen anzubieten. Hinzu kommt, dass viele Buben seit dem Einbruch der afghanischen Wirtschaft ohnehin arbeiten, anstatt zu lernen, um ihre von Armut bedrohten Familien zu unterstützen. achdem die Sekundarschulen für die Mädchen im März geschlossen blieben, erschienen in internationalen Medien Berichte über die Einrichtung geheimer Schulen und den Widerstand einiger Lehrerinnen und Lehrer gegen die Beschlüsse der Taliban. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Homeira Qaderi sagte dazu in einem Interview: „Diese geheimen Schulen können mitnichten eine reguläre Schulbildung ersetzen. Den Besuch offizieller Schulen auf ein paar geheime
NSchulen zu reduzieren, versperrt den Mädchen den Weg zu einer Hochschulbildung. An die Universität zu kommen und die Aufnahmeprüfungen zu bestehen, ist hart, und ein paar wenige geheim geführte Schulen können die Mädchen dabei kaum unterstützen.“Die Schulen seien lediglich eine physische und seelische Stütze, könnten aber rational betrachtet keine Antwort sein, so Qaderi. Manche der Schülerinnen, die von dem Besuch öffentlicher Schulen ausgeschlossen wurden, besuchen zusätzlich private Bildungseinrichtungen, die nun ebenfalls geschlossen würden. Hasna ist zwölf Jahre alt und besucht die achte Klasse einer privaten Kunstschule. „Während des Unterrichts hatte die Lehrerin die Rollläden immer heruntergezogen, damit man uns Mädchen von außen nicht sehen konnte. Im Haus nebenan waren Männer von den Taliban und sie haben immer in unsere Hefte geschaut und dann so Sachen gesagt wie ,Ihr malt Götzenbilder‘. Das hat uns Angst gemacht. Später haben sie die Schule geschlossen und wir konnten den Kunstunterricht nicht mehr besuchen. Meine Schwester wurde zu Hause ganz krank. Die Buben konnten hinter verschlossenen Türen erst mit dem Malunterricht weitermachen, aber dann haben die Taliban das auch ihnen verboten. Unser Lehrer unterrichtet sie jetzt in einer Bäckerei in der Nachbarschaft.“Die Zukunft von Mädchen ist vollkommen ungewiss. uch Unicef und andere internationale Organisationen haben erneut ihre Besorgnis ausgedrückt. Die Frauen Afghanistans hätten in den vergangenen 20 Jahren einen weiten Weg zurückgelegt, jetzt müsse man
sie davor schützen, dass ihnen das Recht auf Bildung
wieder genommen würde. Letzten Monat habe ich meinen Abschluss an der Universität Kabul gemacht, während meine Familie wollte, dass ich das Studium aufgrund des Drucks seitens der Taliban, der schlechten Sicherheitslage und der fehlenden Lehrkräfte abbreche.
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