„Das Zentrum im Ort gibt es nicht mehr“
Mindestens zehn Tote und Dutzende Verletzte nach schweren Unwettern in Italien. Schlamm und Wasser wälzten sich durch die Orte und zerstörten alles.
Donnerstagabend gegen 18 Uhr in der italienischen Region Marken. Viele Menschen sind auf dem Heimweg von der Arbeit, manche haben schon ihr Auto abgestellt, als plötzlich die Sintflut beginnt. Wassermassen prasseln vom Himmel herab, die Menschen suchen Zuflucht zu Hause. Es ist so viel Wasser, dass manche es kaum glauben können. In weniger als drei Stunden fällt so viel Regen wie sonst in einem ganzen Jahr in der ostitalienischen Adria-Region.
Weil viele der betroffenen Gemeinden zwischen Ancona und Pesaro von Elektrizität, Internet und auch fließendem Wasser abgeschnitten sind, erfährt Italien erst am nächsten Morgen von der Tragödie. Mindestens zehn Todesopfer fordern die Überschwemmungen, vier Menschen gelten weiter als vermisst, darunter zwei Kinder. 50 Verletzte melden die Behörden, dazu Hunderte, die nicht mehr in ihre Wohnungen zurückkönnen.
Auch Umbrien ist betroffen. Italiens Zivilschutzchef Fabrizio Curcio sprach am Freitag von „Momenten des Schreckens, mit wirklich außergewöhnlichen Wassermengen“. Meteorologen zufolge handelte es sich um die stärksten Regenfälle in den Marken seit zehn Jahren. Besonders viele Bilder und Augenzeugenberichte gibt es aus dem Ort Cantiano, in der Berggegend zu Umbrien gelegen. Videoaufnahmen zeigen einen über die Ufer getretenen Bach, der sich nun als Schlamm- und Wasserlawine seinen Weg durch das Dorf bahnte. Menschen sind zu sehen, wie sie hüfttief im Wasser stehen und verzweifelt nach Angehörigen suchen. „Das Wasser kam wie eine Flut“, berichtet eine Betroffene. „Ich bin mit meinem Mann in den ersten Stock geflohen, von dort haben wir gesehen, wie das Wasser den Ort umschlungen hat. Ich hatte solche Angst.“„Das Ortszentrum gibt es nicht mehr“, so zitiert „La Repubblica“die Vizebürgermeisterin Natalia Grilli.
Andernorts passierte noch Schlimmeres. Etwa dort, wo der Fluss Misa seinen Lauf hat, der sich von den Apenninen hinunter bis ins völlig überschwemmte Ortszentrum von Senigallia an der Adriaküste schlängelt. Der Misa trat über die Ufer, weil Abläufe durch fortgespülte Bäume, Äste und Gestein verstopft waren. Ganze Dörfer verwandelten sich in vom Wasser umschlungene Inseln. Vier Tote soll es im Ort Pianello di Ostra gegeben haben. Ein Vater und sein Sohn hatten sich in die Garage geflüchtet, die zur Falle wurde. Hier soll auch eine Mutter mit ihrer 17-jährigen Tochter fortgespült worden sein. Tote gab es auch in den Orten
Trecastelli, Bettolelle und Barbara, wo noch ein achtjähriger Bub vermisst wird. „Niemand konnte sich so etwas vorstellen“, sagt Grilli. „Es geschah alles innerhalb einer halben Stunde.“
Der Sturm traf Donnerstagnachmittag auch Kroatien. Am schlimmsten betroffen war der Ort Cˇ azma. Zahlreiche Bäume wurden umgerissen, Hausdächer abgedeckt. Die gewaltigen Niederschlagsmengen bedrohten gestern die Stadt Karlovac. Hier rechnet man damit, dass der Fluss Kupa den Hochwasserschutz durchbrechen wird.