Die Krisengewinner
Schweden und demnächst Italien könnten nur die Vorbeben sein. In Europa gärt es. Die Migration spielt dabei eine größere Rolle, als viele nach wie vor zugeben wollen.
Der Sieg der rechtsnationalen Schwedendemokraten gibt einen Vorgeschmack auf die politischen Umwälzungen, die Europa wohl bevorstehen. Nicht die Regierenden ernten die Dividende dafür, dass der Kontinent nicht unter einer in seiner jüngeren Geschichte beispiellosen Kaskade von Krisen zusammengebrochen ist und man sich im Krebsgang aus einer Pandemie herausarbeitet, die in vielerlei Hinsicht eine historische Zäsur ist. Es schlägt die Stunde der Volkstribune, die aus dem Unmut über explodierende Preise und aus den Existenzängsten vieler Kapital schlagen.
Schon die Tachtel, die Frankreichs gerade erst im Amt bestätigter Präsident Emmanuel Macron bei den Parlamentswahlen im Juni kassierte, verbunden mit starken Zugewinnen für die linken und rechten Populisten Mélenchon und Le Pen, waren ein untrügliches Indiz dafür, dass hier etwas dramatisch ins Rutschen geraten ist. Die europäische Konsensdemokratie, die jahrzehntelang auf dem Zusammenspiel der wichtigsten politischen Kräfte und dem Aushandeln von Kompromissen gründete, ist am
Ende. Nirgendwo zeigt sich das in grellerem Licht als in Italien, wo Giorgia Meloni und ihre rechtsrechten „Fratelli d’Italia“, eine vor ein paar Jahren noch unbedeutende politische Splittergruppe, drauf und dran sind, bei der Wahl am Sonntag in einer Woche zur stärksten politischen Kraft aufzusteigen.
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich schon jetzt die entsetzten Reaktionen in Europa auszumalen. Kommentatoren und Kommentatorinnen in Berlin, Paris, Brüssel und anderswo werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und in der wohlbekannten Mischung aus Besorgnis, moralischer Entrüstung und Überheblichkeit fragen, wie es so weit kommen konnte. Wie es denn sein kann, dass 100 Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom eine Postfaschistin nach der Macht angelt. Und wetten? Mit dem Volk, diesem für die Demokratie zu dummen und für autoritäre Versuchungen ach so empfänglichen Souverän, wird einmal mehr flugs der Schuldige für das Schlamassel gefunden sein.
Nicht, dass es keinen Anlass zu Sorge gäbe. Aber dass – wie übrigens auch in Schweden – neben einer Vielzahl anderer Faktoren grobe Versäumnisse der Regierenden im Umgang mit der Migration und die dadurch ausgelösten gesellschaftlichen Verwerfungen eine zentrale Rolle spielen, sollte halt dazugesagt und nicht peinlich verschwiegen werden. erade Italien ist ein gutes Beispiel für eine schleichende politische Radikalisierung, die eng mit den von Jahr zu Jahr gewachsenen Ängsten vieler vor den Folgen einer unkontrollierten Zuwanderung verwoben ist. Was einst mit Silvio Berlusconis Bunga-BungaPopulismus begann und sich später dann mit Matteo Salvinis hemdsärmeligem Rabaukentum fortsetzte, findet mit Giorgia Meloni nun seinen vorläufigen Höhepunkt. Sie geht nicht als Favoritin in die Wahl, weil, sondern obwohl sie mit dem Erbe des Duce kokettiert. Das sollte Europa zu denken geben.
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