Überförderung? „Eine Debatte im Elfenbeinturm“
INTERVIEW. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im Gespräch über üppige Energie-Rabatte, Fracking im Weinviertel und Nehammer als Herkules.
Frau Landeshauptfrau, wer in Niederösterreich lebt, bekommt zum Strompreisdeckel des Bundes auf 10 Cent pro kWh noch 11 Cent pro kWh an „blau-gelbem Strompreisrabatt“gutgeschrieben. Ist das nicht eine absurde Doppelförderung? JOHANNA MIKL-LEITNER: Wir haben uns vorgenommen, die Menschen gut durch die Krise zu führen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass Niederösterreich den Strompreisrabatt beibehalten wird, auch wenn es in späterer Folge eine Unterstützung seitens des Bundes gibt. Wenn gut Situierte jetzt von Überförderung reden, kann ich nur sagen: bitte die Preise anschauen. In allen Lebensbereichen ist die Teuerung spürbar. Der Rabatt ist eine weitere Entlastung für unsere Menschen – keine Überförderung, sondern Spielraum, um das Leben bestreiten zu können.
Viele Haushalte werden dank dieser Aktionen heuer eine niedrigere Stromrechnung haben als vor der Krise. Wo bleibt denn da der Anreiz, Energie zu sparen?
Wir fördern 80 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsbedarfes. Wir haben eine Spartangente von 20 Prozent. Bei uns sind nicht die Quadratmeter entscheidend, sondern vor allem wird die Anzahl der im Haushalt wohnenden Personen gefördert. Es ist somit sozial treffsicher.
Unterm Strich bekommen die Haushalte einen Cent pro verbrauchter Kilowattstunde gutgeschrieben. Das ist doch das Gegenteil von treffsicher.
Wir haben den Strompreisrabatt genommen, weil davon alle Haushalte profitieren und die Menschen ja auch von anderen
Teuerungen betroffen sind, sei es im Lebensmittel- oder Verkehrsbereich. Ich halte es für eine Debatte im Elfenbeinturm, wenn man sagt, dass es zu einer Überförderung kommt, weil die Menschen das Geld brauchen.
Wie lange kann der Staat es sich leisten, Bürger in diesem Ausmaß zu subventionieren?
Klar ist, dass es jetzt finanzielle Unterstützung braucht – als Nächstes vor allem für Wirtschaft und Industrie, weil wir Gefahr laufen, dass es sonst zu einer Schließungswelle kommt. Aber der Staat kann sicher nicht alles abfedern. Der Wohlstand wird etwas abnehmen.
Sowohl das Land Niederösterreich als auch der Bund machen für diese Hilfsmaßnahmen neue Schulden. Wie wollen Sie die wieder abbauen?
Wir haben jetzt durch die Teuerung höhere Steuereinnahmen.
Soll der Staat bei Energiekonzernen Gewinne abschöpfen?
Wie es gehen kann, hat der Verbund gezeigt, der einen Teil des
Gewinnes an die Kunden weitergibt. Bei der EVN kann man von keinen Übergewinnen sprechen.
NÖ hat allein so viel WindkraftPotenzial wie alle anderen Länder zusammen. Seit 2014 gibt es einen Zonenplan, der den Ausbau stark einschränkt. Wird das angesichts der Krise überarbeitet?
Wir in Niederösterreich sind Vorreiter, egal, ob es sich um Windkraft oder PV-Anlagen handelt. Von den mehr als 1300 Windrädern stehen 750 bei uns in Niederösterreich. Klar ist, dass wir das weiter ausbauen.
Wird der Windkraftzonenplan überarbeitet werden?
Bei der Windkraft wollen wir den Weg des „Re-Powerings“gehen (Upgrades für bestehende Kraftwerke, Anm.) – und zusätzliche Windräder aufstellen, wo es schon welche gibt.
Großbritanniens neue Premierministerin hat gerade angekündigt, das Fracking-Verbot aufzuheben. Im Weinviertel gibt es immer wieder Exploration und langfristig liebäugelt man wohl mit
der Idee des Frackings. Wäre das auch wirklich eine Option?
Es soll jetzt ja eine neue, ökologische Methode geben. Dazu braucht es jetzt eine Meinungsbildung durch die Experten und eine ganz klare Aussage des Umweltministeriums.
Sie haben gerade bekannt gegeben, dass NÖ seine Kindergärten auch für Zweijährige öffnen wird und die Gruppengröße verkleinert werden soll. Wie finanzieren Sie denn das?
Unser Ziel ist es, Niederösterreich zu Kinderösterreich zu machen. Wir wollen auf jeden Fall eine Vormittags-Betreuung gratis anbieten, von 0 bis 6 sowie eine leistbare NachmittagsBetreuung. Ja, das kostet Geld. Wir nehmen über 750 Millionen Euro in die Hand, diesen Spielraum haben wir uns budgetär geschaffen.
Woher nehmen Sie das qualifizierte Personal dafür?
Das geht nicht von heute auf morgen, wir akquirieren und bilden jetzt aus. Deswegen gibt es einen Stufenplan bis 2027.
Soll es dann einen Rechtsanspruch auf diese Kinderbetreuung im Ort geben?
Entscheidend ist Wahlfreiheit, und nicht Rechtsanspruch.
Niederösterreich wählt Anfang nächsten Jahres. Wie zufrieden sind Sie mit der Performance der ÖVP auf Bundesebene?
Fakt ist, dass wir uns in den herausforderndsten Zeiten unserer Generation befinden und dass die Bundesregierung vor ganz großen Herausforderungen steht. Das ist eine HerkulesAufgabe. Ich wünsche mir, dass es dabei ein Miteinander gibt, nicht nur in der Regierung, sondern auch mit den Oppositionsparteien.
Ist Karl Nehammer der richtige Herkules für diese Aufgabe?
Er hat, was man in dieser Krise braucht: das Verbindende, mit allen zu reden. Er stellt das Miteinander vor das Trennende.
Wen werden Sie bei der Bundespräsidentenwahl wählen?
Ich gebe keine offizielle Wahlempfehlung ab, indem ich öffentlich sage, wen ich wähle.
Sie sind vor einigen Wochen mit Alexander Van der Bellen wandern gewesen.
Ja, ich bin viel unterwegs und da merke ich schon, dass viele froh sind, dass Van der Bellen wieder kandidiert und ich kann das auch verstehen. Ich habe eine Wertschätzung dem Amtsinhaber gegenüber. Aber es braucht keine Wahlempfehlung von mir, denn die Menschen sind mündig genug.