Kleine Zeitung Kaernten

Gehetzte Seelen rennen

Barrie Kosky reduziert Leosˇ Janácˇ eks Oper „Káta Kabanová“auf ihre szenische Essenz und macht die Ehebruchs-Handlung dadurch auch als eine Geschichte über den Wahn lesbar.

- Von Martin Gasser

Ich habe keine Möglichkei­t, zu leben“, gesteht Káta Kabanová. Zu Beginn war sie über die leere Riesenbühn­e der Salzburger Felsenreit­schule gerannt. Eine gehetzte Seele, die beinahe in den Orchesterg­raben stürzt – eine Vorahnung des tragischen Schlusses, bei dem sie ins Wasser geht. Ihr Mann Tichon liebt Káta zwar, aber er ist ein Schwächlin­g, über dessen Ehe eine grausame Stiefmutte­r das Regiment führt.

Káta beginnt eine Affäre mit Boris, die wohl weniger Ausdruck der Leidenscha­ft ist (Leoˇs Janácˇeks Musik ist hier beredt melancholi­sch verschatte­t). Das zehntägige Abenteuer, das vielmehr ein verzweifel­ter Versuch der Selbstbeha­uptung sein dürfte, bringt der Titelheldi­n erwartungs­gemäß keine Erfüllung, sondern nur überwältig­ende Schuldgefü­hle.

Die Handlung der 1921 in Brünn uraufgefüh­rten Oper spielt im ländlichen Russland des 19. Jahrhunder­ts. Der Ehebruch ruft in diesem gesellscha­ftlichen Umfeld laut Libretto eine irreversib­le soziale Ächtung unvorstell­baren Ausmaßes hervor, die sich bis zur Lynchjusti­z radikalisi­eren kann. In unserer Gegenwart ist Ehebruch längst zu einer rein privaten Tragödie geworden und kein öffentlich­er Frevel mehr. Kosky gelingt es aber auch im modernen Kostüm, die Tragik und Tragweite des Geschehens greifbar zu machen. Er reduziert die Handlung auf ihre Essenz und fokussiert Psychologi­e der Figuren. Die leere Bühne und die – fast ohne Requisiten auskommend­e – Interaktio­n zwischen den wenigen Personen sind das Mittel zum Zweck.

Die Personenfü­hrung ist genau und der Musik abgelausch­t, und nicht nur die Protagonis­tin, sondern auch die anderen verlorenen Seelen fegen und rollen über die Bühne. Das Bühnenbild selbst (kreiert von Rufus Didwiszus) besteht einzig aus einer riesigen Gruppe lebensgroß­er menschlich­er Puppen, die den ganzen Abend den Figuren den Rücken zukehrt. Eine nur scheinbar lebendige Mauer, die anschaulic­h macht, wie einsam und von der Welt abgesonder­t sich Káta fühlt.

Für die gesellscha­ftlich isolierte Frau, vom Dasein gequält und entfremdet, ist die Affäre letztlich der Katalysato­r, der sie in den Suizid treibt. Um es mit einem Literaturn­obelpreist­räger zu sagen, ist Káta Kabanová, nicht nur ein von den Umständen gegängelte­r, sondern einfach ein wunschlos unglücklid­ie

cher Mensch. Koskys Ansatz macht ihre Geschichte letztlich als einer vom Dasein psychisch Deformiert­en lesbar, deren Zustand bis zum Wahn und zur Selbstzers­törung geht.

Dirigent Jakub Hru˚ sa ist wie der Komponist ein Kind Mährens, was wohl eine nicht zu vernachläs­sigende Affinität herstellt. Hru˚ˇsa vermittelt viel von Janácˇeks Genialität in der Verknappun­g, die Wiener Philharmon­iker werden gewisserma­ßen die Hauptdarst­eller dieser schön

transparen­t gespielten Opernsymph­onie, die vielleicht hin und wieder etwas nüchterner und härter klingen müsste.

Gesungen wird auf hohem Niveau, Evelyn Herlitzius gibt der bösen Stiefmutte­r düsteres Profil, David Butt Philip singt den Boris exzellent und mit Charakter, auch Jarmila Balázˇová als Varvara und Benjamin Huletts Vána gefallen, aber eine ragt weit aus dem Ensemble heraus: US-Sopranisti­n Corinne Winters singt die Titelparti­e innig, mit schöner Lyrik und Frische, aber niemals belanglos, und ist schauspiel­erisch hinreißend.

Die Festspiele haben damit eine große Konsens-Produktion, auf die sich fast alle werden einigen können. Das zeigt auch, was derzeit am stärksten ankommt: Reduktion, Musikalitä­t, Psychologi­e und überschaub­are Metaphorik. Barrie Kosky bietet genau das und ist nun wohl endgültig auf dem Weg zum allmählich­en Altmeister.

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SF/RITTERSHAU­S Salzburger Festspiele: Die Welt prasselt auf Káta Kabanová (Corinne Winters, sitzend) ein
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Barrie Kosky zeigt nach 2019 wieder eine Regiearbei­t in Salzburg

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