Gehetzte Seelen rennen
Barrie Kosky reduziert Leosˇ Janácˇ eks Oper „Káta Kabanová“auf ihre szenische Essenz und macht die Ehebruchs-Handlung dadurch auch als eine Geschichte über den Wahn lesbar.
Ich habe keine Möglichkeit, zu leben“, gesteht Káta Kabanová. Zu Beginn war sie über die leere Riesenbühne der Salzburger Felsenreitschule gerannt. Eine gehetzte Seele, die beinahe in den Orchestergraben stürzt – eine Vorahnung des tragischen Schlusses, bei dem sie ins Wasser geht. Ihr Mann Tichon liebt Káta zwar, aber er ist ein Schwächling, über dessen Ehe eine grausame Stiefmutter das Regiment führt.
Káta beginnt eine Affäre mit Boris, die wohl weniger Ausdruck der Leidenschaft ist (Leoˇs Janácˇeks Musik ist hier beredt melancholisch verschattet). Das zehntägige Abenteuer, das vielmehr ein verzweifelter Versuch der Selbstbehauptung sein dürfte, bringt der Titelheldin erwartungsgemäß keine Erfüllung, sondern nur überwältigende Schuldgefühle.
Die Handlung der 1921 in Brünn uraufgeführten Oper spielt im ländlichen Russland des 19. Jahrhunderts. Der Ehebruch ruft in diesem gesellschaftlichen Umfeld laut Libretto eine irreversible soziale Ächtung unvorstellbaren Ausmaßes hervor, die sich bis zur Lynchjustiz radikalisieren kann. In unserer Gegenwart ist Ehebruch längst zu einer rein privaten Tragödie geworden und kein öffentlicher Frevel mehr. Kosky gelingt es aber auch im modernen Kostüm, die Tragik und Tragweite des Geschehens greifbar zu machen. Er reduziert die Handlung auf ihre Essenz und fokussiert Psychologie der Figuren. Die leere Bühne und die – fast ohne Requisiten auskommende – Interaktion zwischen den wenigen Personen sind das Mittel zum Zweck.
Die Personenführung ist genau und der Musik abgelauscht, und nicht nur die Protagonistin, sondern auch die anderen verlorenen Seelen fegen und rollen über die Bühne. Das Bühnenbild selbst (kreiert von Rufus Didwiszus) besteht einzig aus einer riesigen Gruppe lebensgroßer menschlicher Puppen, die den ganzen Abend den Figuren den Rücken zukehrt. Eine nur scheinbar lebendige Mauer, die anschaulich macht, wie einsam und von der Welt abgesondert sich Káta fühlt.
Für die gesellschaftlich isolierte Frau, vom Dasein gequält und entfremdet, ist die Affäre letztlich der Katalysator, der sie in den Suizid treibt. Um es mit einem Literaturnobelpreisträger zu sagen, ist Káta Kabanová, nicht nur ein von den Umständen gegängelter, sondern einfach ein wunschlos unglücklidie
cher Mensch. Koskys Ansatz macht ihre Geschichte letztlich als einer vom Dasein psychisch Deformierten lesbar, deren Zustand bis zum Wahn und zur Selbstzerstörung geht.
Dirigent Jakub Hru˚ sa ist wie der Komponist ein Kind Mährens, was wohl eine nicht zu vernachlässigende Affinität herstellt. Hru˚ˇsa vermittelt viel von Janácˇeks Genialität in der Verknappung, die Wiener Philharmoniker werden gewissermaßen die Hauptdarsteller dieser schön
transparent gespielten Opernsymphonie, die vielleicht hin und wieder etwas nüchterner und härter klingen müsste.
Gesungen wird auf hohem Niveau, Evelyn Herlitzius gibt der bösen Stiefmutter düsteres Profil, David Butt Philip singt den Boris exzellent und mit Charakter, auch Jarmila Balázˇová als Varvara und Benjamin Huletts Vána gefallen, aber eine ragt weit aus dem Ensemble heraus: US-Sopranistin Corinne Winters singt die Titelpartie innig, mit schöner Lyrik und Frische, aber niemals belanglos, und ist schauspielerisch hinreißend.
Die Festspiele haben damit eine große Konsens-Produktion, auf die sich fast alle werden einigen können. Das zeigt auch, was derzeit am stärksten ankommt: Reduktion, Musikalität, Psychologie und überschaubare Metaphorik. Barrie Kosky bietet genau das und ist nun wohl endgültig auf dem Weg zum allmählichen Altmeister.