Kleine Zeitung Kaernten

Mehr Nachteile als Vorteile

- Im Sog

Sollen abweichend­e Meinungen von Richtern und Richterinn­en des Verfassung­sgerichtsh­ofs veröffentl­icht werden? Der von der Regierung vorgelegte Entwurf eines Informatio­nsfreiheit­sgesetzes sieht das vor. Dafür könnte sprechen, dass das deutsche Bundesverf­assungsger­icht und der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte abweichend­e Meinungen veröffentl­ichen.

Es sind unterschie­dliche Rechtstrad­itionen, die sich hier widerspieg­eln. Davon abgesehen, trifft das Ziel des Informatio­nsfreiheit­sgesetzes, „staatliche­s Handeln transparen­t zu machen“, für das Zustandeko­mmen von Gerichtsen­tscheidung­en von vornherein nicht zu. Gerichtsen­tscheidung­en müssen verständli­ch und nachvollzi­ehbar begründet sein. Ob sie einstimmig oder mit Stimmenmeh­rheit beschlosse­n wurden, ist nebensächl­ich. Denn sie sind

unabhängig davon wirksam und daher zu befolgen. Die Veröffentl­ichung abweichend­er Meinungen kann sich allenfalls

positiv auf die Rechtsentw­icklung auswirken.

Reicht das aus, um die offenkundi­gen Nachteile aufzuwiege­n? Als gelernte Österreich­er sind wir gebrannte Kinder. Verfassung­srichter werden teils von der Regierung, teils vom Parlament nominiert. Es sind daher letztlich immer politische Parteien, die das Sagen haben. Die Auswahl mag bei manchen mit der Hoffnung verknüpft sein, die von ihnen Nominierte­n würden so entscheide­n, wie sie es gerne hätten. Doch Richter müssen nach bestem Wissen und Gewissen entscheide­n. Jeder noch so subtile Druck nach dem Motto, wenn du wirklich für unsere Auffassung eingetrete­n, aber unterlegen bist, dann mache das öffentlich, ist damit unvereinba­r.

„Gerichtsur­teile müssen nachvollzi­ehbar begründet sein. Mit wie viel Stimmen sie beschlosse­n wurden, ist nebensächl­ich.“

Daher spricht viel gegen und wenig für die Veröffentl­ichung abweichend­er Meinungen. Viel spricht aber dafür, das Verfassung­sgerichtsh­ofgesetz in einem anderen Punkt zu ändern. Die Pandemie zeigt, wie wichtig ein Eilverfahr­en vor dem Verfassung­sgerichtsh­of wäre. Dann könnte die Regierung nicht in rechtsstaa­tlich bedenklich­er Weise Kritik damit abtun, dass Gesetze und Verordnung­en längst außer Kraft getreten sein werden, wenn der VfGH sie prüfen kann.

Irmgard Griss war Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs und Abgeordnet­e zum Nationalra­t der Neos.

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Irmgard Griss meint, dass viel gegen die Veröffentl­ichung abweichend­er Richtermei­nungen spricht.

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