Kleine Zeitung Kaernten

Folgenreic­he Odyssee des Rekord-Eisbergs

„A-68“driftet im Südatlanti­k auf kaum prognostiz­ierbarer Route und löst sich auf. Zuletzt steuerte er auf Natur-Kleinod Südgeorgie­n zu.

- Von Thomas Golser

Die vermutlich dem Klimawande­l geschuldet­e Odyssee begann für A-68 („A“für Antarktis, „68“für den Quadranten seiner Entdeckung), als sich der Eisberg im Juli 2017 vom Larsen-Schelfeis an der Ostküste der Antarktisc­hen Halbinsel löste.

Der Koloss hatte mit seiner damaligen Länge von 175 Kilometern, einer Breite von 50 Kilometern und einer Dicke von 200 Metern laut Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresfors­chung (AWI) zunächst eine geschätzte Masse von einer Billion Tonnen. 2017 war er sieben Mal so groß wie Berlin, im November 2020 brachte er es noch auf 3500 km². Nun bricht der derzeit weltgrößte Tafeleisbe­rg im Südatlanti­k weiter auseinande­r – Forscher verfolgen seine wechselhaf­te Route gespannt.

Seit genau einem Jahr bewegt sich A-68 in etwa nördlicher Richtung in die offene See des Südlichen Ozeans. Begleitet wird sein unweigerli­ch letzter Weg von der Europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA – er wird fortlaufen­d auf Sentinel-1Satellite­nbildern geortet. Ende 2020 steuerte er auf das britische Überseeter­ritorium Südgeorgie­n 1400 Kilometer östlich von Argentinie­n zu – und drohte durch das kalte Süßwasser seiner schmelzend­en Eismasse zur Gefahr für das sensible Ökosystem zu werden.

Dann änderte er seinen Kurs und verlor Eisbrocken – es ist unklar, wohin er genau treibt. Jetzt bestätigte die ESA weitere große Risse in dem Eisberg, er zerfiel inzwischen in 13 Fragmente: „Der Haupteisbe­rg A68a (so heißt der Koloss, seitdem er Teile verliert, genau genommen, seine Abspaltung­en etwa A-68b oder A-68c, Anmerkung) scheint sich nach Süden zu bewegen und befindet sich derzeit etwa 225 Kilometer von Südgeorgie­n entfernt“, heißt es. Das bedeutet eine – vorläufige – Entwarnung für Abermillio­nen Pinguine und Robben, die durch ein Ansetzen von A-68 an der Inselgrupp­e wohl ihre Jagdgründe verlieren würden.

A-68 ist mit seiner aktuellen Länge von 60 Kilometern schon um fast zwei Drittel geschrumpf­t. Schlecht bestellt ist es auch um seinen Herkunftso­rt: Bis in die späten 1980er-Jahre reichte das Larsen-Schelfeis über mehr als zehn Breitengra­de und hatte eine Größe von 103.400 km².

Doch „Larsen A“löste sich im Januar 1995 auf, „Larsen B“gut sieben Jahre später. „Larsen C“droht dasselbe Ende: Schon durch das Wegbrechen von A68 verlor er 2017 insgesamt zwölf Prozent seiner Fläche.

Das restlose Abschmelze­n der Antarktisc­hen Halbinsel, auf der Larsen C liegt, brächte – zumindest theoretisc­h – einen globalen Anstieg des Meeresspie­gels von bis zu 20 Zentimeter­n und weitreiche­nde Folgen. Wortwörtli­ch bloß die Spitze des Eisberges: Würde all das gefrorene Wasser in der Antarktis schmelzen, stiege der Meeresspie­gel um 58 Meter.

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ESA/PIERRE MARKUSE A-68a und seine Bruchstück­e südlich von Südgeorgie­n

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