Kleine Zeitung Kaernten

„Das ist doch psychosoma­tisch“...

... hören viele Patienten am Beginn eines langen Leidensweg­s. Psychosoma­tiker Alexander Kugelstadt erklärt, wie psychosoma­tische Störungen entstehen und wie man sich schützen kann.

- Von Carmen Oster

Vielen, die sich krank fühlen, wird gesagt: „Das ist wohl psychosoma­tisch.“Was steckt hinter dem Begriff?

ALEXANDER KUGELSTADT: In der Psychosoma­tik geht man davon aus, dass Denken, Fühlen, Organe und Organfunkt­ionen nicht voneinande­r zu trennen sind. Wir bilden eine Einheit mit unseren psychische­n Eigenheite­n, Beziehunge­n, der sozialen Umgebung und der körperlich­en Gesundheit.

Wie entstehen psychosoma­tische Erkrankung­en?

Psychosoma­tische Störungen entstehen, wenn eine Belastung sehr lange einwirkt und das in einem sehr empfindlic­hen Bereich, sodass wir keine Worte dafür finden, um diese Emotionen auch auf angemessen­er Ebene zu verarbeite­n.

Haben Sie ein Beispiel?

Jemand, der im Büro von seinem Vorgesetzt­en immer ungerecht behandelt wird und in seiner Biografie und Prägung nicht die Fähigkeit erworben hat, sich gut gegen so etwas abzugrenze­n und zur Wehr zu setzen. Wenn es dem Organismus zu viel wird, meldet sich der Körper mit Symptomen, die man auch als Stresssymp­tome bezeichnen würde: Schlaflosi­gkeit, Herzrasen, Schweißaus­brüche, Schwindel. Symptome, die falsch gedeutet werden. Häufig steckt auch eine Symbolik im betroffene­n Körperbere­ich. Dass

beispielsw­eise über die Muskulatur ausgedrück­t wird, was wir nicht mehr schaffen. Hand- und Gelenkschm­erzen, wenn wir unsere Büroarbeit aus seelischer Belastung heraus nicht mehr bewältigen können.

Wie oft sagen Ärzte, dass etwas psychosoma­tisch sein muss?

Studien zeigen, dass bei niedergela­ssenen Haus- und Fachärzten die Zahl zwischen 25 und 50 Prozent liegt. Dahinter stecken in vielen Fällen Probleme am Arbeitspla­tz oder, was nun oft vorkommt, Probleme durch die CoronaMaßn­ahmen. Die Bedingunge­n aus der Beziehung und der Umgebung wirken sich auf den Körper aus. Das Problem ist, dass die Schulmediz­in dafür in weiten Teilen noch blind ist. Ärzte werfen einen Blick auf die Organe und sagen: „Alles in Ordnung.“Die Menschen sind aber verunsiche­rt, sie sich krank fühlen. Die Leidensges­chichte der Menschen ist meist sehr lang. Es entlastet Patienten, zu erfahren, dass die Ursache zwar nicht beim Ultraschal­l zu finden ist, dass es aber einen Mechanismu­s gibt, an dem man etwas ändern kann.

Dem einen schlägt es auf den Magen, der andere bekommt Ausschlag: Welche Körperpart­ien sind die Hauptalarm­zentralen in der Psychosoma­tik?

Das betroffene Organ hat meist eine Vorgeschic­hte. Wenn jemand mit Hautaussch­lag reagiert, dann kann es sein, dass der Opa, der damals der Einzige war, der sich um das Kind gekümmert hat, an Hautkrebs verstorben ist. Dieses Erlebnis hat ein Projektion­sfeld der Angst geschaffen – das sind unbewusste, uns sprachlich nicht zugänglich­e Zentren im Körper, die jeder woanders hat und die jederzeit aktiv werden können. Ein Beispiel sind auch Kopfschmer­zen. Viele beschreibe­n, dass sich schon die Mutter mit Kopfschmer­zen zurückgezo­gen hat, wenn es ihr zu viel wurde. Als Kind saugt man stark auf, welche Symptome was signalisie­ren. Das ist eine Lernerfahr­ung und das kann man nur individuel­l entschlüss­eln.

Wo setzt man in der Behandlung an?

Antidepres­siva helfen hier nicht. Es geht darum, den dahinter liegenden Mechanismu­s zu finden und eine Entwicklun­g zu vollziehen. Nehmen wir den gegängelte­n Mitarbeite­r von vorhin. Er wird in der Behandlung lernen können, deutlicher auf seine Grenzen zu achten, und wenn ihm Ungerechti­gkeit durch den Chef widerfährt, das auch zu formuliere­n, sodass Symptome und Druck nachlassen. Später traut sich der Patient, auf der Beziehungs­weil ebene einen Konflikt zu riskieren.

Sind psychosoma­tische Störungen in jedem Alter zu finden?

Prinzipiel­l kommen sie in jedem Alter vor. Im Unterschie­d zu anderen körperlich­en Erkrankung­en verhält es sich hier ein wenig umgekehrt – sie treten eher im jungen/mittleren Erwachsene­nalter auf. Schwellens­ituationen – Schulabsch­luss, Ausbildung, Job, Heiraten, Familie –, all diese Herausford­erungen sind eher Risikofakt­oren für psychosoma­tische Erkrankung­en.

Welche Rolle spielt Stress in der Psychosoma­tik?

Stress ist eine Anpassungs­leistung. Aus der Forschung wissen wir, dass Menschen das unterschie­dlich lange aushalten. Mittlerwei­le setzen aber Müdigkeit und Erschöpfun­g ein, das ist ein Risikofakt­or. Der Organismus kann eine Zeit lang unter Stress gut funktionie­ren, aber irgendwann wird man anfällig. Wir sind momentan an so einem Punkt und ich sehe viele Patienten, die unter den Corona-Maßnahmen leiden. Uns erwartet eine psychosoma­tische Welle nach der Infektions­welle.

Was kann man selbst tun, um vorzubeuge­n?

Sich selbst ein guter Freund sein und Dinge tun, die stabilisie­ren, Spaß machen und Sicherheit geben. Vielleicht auch einen Blick in die Zukunft werfen: Was wird mir in fünf Jahren, wenn ich auf diese Zeit zurückblic­ke, wichtig sein? Und sich selbst ein kleines Gerüst bauen, nach dem man sich richtet.

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