Hubert Patterer über die letzte Klippe und eine alte Tugend.
Die neue Gefahrenlage macht eine Verlängerung des Lockdowns unausweichlich. Die letzte große Klippe. Gefordert ist jetzt eine alte Tugend.
Es war leichtfertig, das Ende des dritten Lockdowns mit einem Datum zu versehen und den 25. Jänner als Tag der Freiheit auszurufen. Klüger wäre es gewesen, das Ende an Messzahlen zu knüpfen. Dann wäre das erreichte oder verfehlte Ziel ein Erfolg des Kollektivs oder geteiltes Scheitern. So muss erneut eine politisch aufgebaute Erwartung unterlaufen werden. Das beschädigt Autorität und Glaubwürdigkeit. In der Sache bleibt der Regierung keine andere Wahl, als die Aufhebung des Lockdowns zu widerrufen. Die Evolution der Natur hat mit einer neuen Variation der Bedrohung zugeschlagen und der Faktor Mensch mit Mutationen von Müdigkeit und Überdruss leider auch. Eine vierte Vollschließung kann und darf es weder wirtschaftlich noch massenpsychologisch geben, sie brächte Dämme zum Einsturz, daher ist die Streckung des bestehenden Lockdowns ein Diktat der Vernunft.
Die Koalition trug durch das Debakel beim Impfstart zur gereizten Stimmung maßgeblich bei, jetzt zeigt sie sich in Bedrängnis lernbereit und macht, was sie viel früher hätte tun sol
len: Sie lässt der Wissenschaft den Vortritt und hält so die schwierige Entscheidung fern vom politischen Fahrwasser. Auch das Zugehen auf die konstruktiven Kräfte der Opposition ist als Anzeichen eines Reifeprozesses zu werten. Es stärkt den Zusammenhalt. Die FPÖ entzieht sich ihm und sucht ihr Heil dort, wo sie in ihren Anfängen begonnen hat: weit draußen an den Rändern, in Allianz mit roher, zielloser Wut. Sie zog gestern durch die Straßen, maskiert und doch entblößt. Auch das eine bizarre Form der Krisenbewältigung: Man bewältigt sie, indem man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Die Bilder wirkten wie ein Wutausbruch gegen ein Leben, das wohl schon vor dem Virus aus den Angeln gehoben wurde. Hau auf dich, hau auf andere.
Dass Handel, Schulen, Gastronomie und Hotels zubleiben, zehrt an den Restbeständen der Substanz. Die Tachonadel neigt sich dem Nullpunkt zu. Um wirtschaftliche Verheerungen abzuwenden, muss der Staat den schwer Getroffenen für den verlängerten Opfergang weiter zur Seite stehen. Auch die Jungen werden aus der schweren Prüfung noch nicht entlassen. Zu hoffen ist, dass sie an der Krisenerfahrung nicht zerbrechen, sondern an ihr wachsen und Werte wie Freundschaft oder Rücksichtnahme neu vermessen. Dann wäre die Bewältigung der Krise ein Bildungsgut und keine „Bildungskatastrophe“. Das Gerede von der „verlorenen Generation“, die ein Leben lang die Folgeschäden mitschleppen würde wie einen „schweren Rucksack“: schrille Überzeichnungen. So entmutigt man jene, die man zu ermutigen vorgibt.
Die mutmaßlich letzte Klippe dieser Pandemie mobilisiert noch einmal stille Reserven an Geduld. Das Ertragenund Wartenkönnen auf ein absehbares Ziel hin, das Zurückstellen von Bedürfnissen für das größere Ganze: In einer auf das Jetzt und Sofort geeichten Gesellschaft ist das eine aus der Zeit gefallene Tugend. Jetzt brauchen wir sie wie die kleinen Impffläschchen.