Die Politik der Verschleierung
Ein Monat ist es her, dass das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Inzwischen findet sich dort und da noch ein Kommentar zum Thema oder zum Verbleib der österreichischen Hilfe „vor Ort“. Die Empörung über die Aussagen von Außenminister Schallenberg und Bundeskanzler Kurz – eine Verkehrung von allem, was als normale politische und menschliche Reaktion verstanden werden kann – sind verpufft. Neben einer Normalisierung der Unmenschlichkeit ist es aber auch eine Trennung von Zusammenhängen, eine Verschleierung von Ursache und Wirkung, die diese Politik charakterisiert.
„Nur wenn man von Elend und Krieg absieht, ist es möglich, Verantwortung durch Unmensch-lichkeit zu ersetzen."
Es ist eine Realität, dass ein neoliberaler Kapitalismus einem großen Teil der Weltbevölkerung nach und nach die Lebensgrundlage entzieht und deshalb Migrationsströme auslöst. Der Krieg in Syrien hatte seinen Ursprung in der brutalen Niederschlagung zivilgesellschaftlicher Proteste durch das Assad-Regime. Es ist ein Krieg, der nun fast zehn Jahre dauert, der zur Bühne der Auseinandersetzungen zwischen den USA und Russland wurde und in dem die Menschen auch vor den Waffen fliehen, die Europa dem Assad-Regime lieferte.
Doch diese Realität ist in der politischen Auseinandersetzung und der medialen Berichterstattung nicht sichtbar. Warum und wovor Menschen fliehen, spielt keine Rolle mehr. Nur wenn man von Elend und Krieg absieht – an denen der globale Norden einen wesentlichen Anteil hat – ist es möglich, Verantwortung durch Unmenschlichkeit zu ersetzen, und das als rationales politisches Handeln darzustellen.
Es ist dem rechten politischen Spektrum gelungen, diese verengte Perspektive zu etablieren. Mitte-links-Parteien setzen dem nur wenig entgegen. Im Fall Moria hörte man etwa die Forderung „Holt die Kinder raus!“, als ob wir nicht in der Lage wären, alle 12.000 Menschen in Europa aufzunehmen, ohne sie quasi nach Bedürftigkeit in Gruppen aufzuspalten und ohne Kinder von ihren Eltern zu trennen. Die Verschleierung von politischen Zusammenhängen stabilisiert ungleiche und ungerechte Verhältnisse und sie bringt Menschen gegeneinander auf.
Politikwissenschaftlerin, Innsbruck