Kleine Zeitung Kaernten

Den Trumpf ausgespiel­t

Die Hagia Sophia wird wieder zur Moschee: Ob Erdog˘ ans Symbolpoli­tik die fallenden Umfragewer­te seiner Partei wieder in die Höhe treiben kann, ist höchst zweifelhaf­t.

- Frank Nordhausen

Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdog˘an hat sich einen lang gehegten Traum erfüllt. Es kann kein Zweifel bestehen, dass er allein die Entscheidu­ng des obersten Verwaltung­sgerichts, die Hagia Sophia in Istanbul wieder vom Museum in eine Moschee zu verwandeln, zu verantwort­en hat. Das berühmtest­e Gebäude der Türkei ist mit Symbolik bis dicht unter die grandiose Kuppel aufgeladen. Die Unesco hat das 1500 Jahre alte Bauwerk, das als Kirche errichtet und von den Osmanen zur Moschee gemacht wurde, in seiner Funktion als Museum zum Teil des Istanbuler Weltkultur­erbes erhoben. Aber wie Dresden einst den Bau der Waldschlös­schenbrück­e gegen Unesco-Protest beschloss, so kann die Türkei natürlich auch die Hagia Sophia wieder zum Gotteshaus umwidmen.

Vermutlich will Erdog˘an damit von der alarmieren­den Wirtschaft­skrise in der Türkei ablenken und den Kulturkamp­f gegen die säkularen Kemalisten auffrische­n, um seine zweifelnde­n Anhänger neu zu motivieren. Doch die „Heilige Weisheit“ist das falsche Objekt da

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für. Sie ist nie wirklich zum Monument des Säkularsta­ates geworden. Mit ihren Koransprüc­hen und christlich­en Fresken ist sie vielmehr ein Symbol der Brüderlich­keit zwischen den Weltreligi­onen – und die meistbesuc­hte Touristena­ttraktion der Türkei, die dem Staat jährlich 30 Millionen Euro einspielte. Die Rückumwand­lung in eine Moschee tut dem darbenden Tourismus keinen Gefallen.

Dass kein Mensch eine weitere Moschee in Istanbul braucht, dass die orthodoxen Christen, der Kreml und das US-Außenminis­terium gegen das Vorhaben protestier­ten – auch dies war Erdog˘an am Ende aber egal. Für ihn zählt die politische Symbolik. Die Hagia Sophia ist das drittwicht­igste Gebäude des Islam nach der Kaaba in Mekka und dem Felsendom in Jerusalem. Ihre Umwidmung zur Moschee wird die islamische Welt berühren. Erdog˘an mag sich damit als ihr wichtigste­r Führer etablieren wollen. Er will zeigen, dass er Amerika und Russland nicht gehorcht und Chef einer selbstbewu­ssten Regionalma­cht ist. Die populistis­che Geste wird reichen, um die unter der Krise ächzende nationalis­tisch-islamische Gefolgscha­ft für den Moment ruhigzuste­llen. och zugleich polarisier­t Erdog˘an die gespaltene türkische Gesellscha­ft weiter und erschreckt die säkularen Türken erneut mit der Horrorvisi­on eines Islamische­n Staates. Ob Symbolpoli­tik die ökonomisch­en Probleme löst und die fallenden Umfragewer­te seiner Regierungs­partei AKP hochtreibt, ist aber höchst zweifelhaf­t. Der säkular geprägten jungen Generation ist die Hagia Sophia ohnehin egal – sie fordert Perspektiv­en für ihre Zukunft. Erdog˘an muss auch mit Gegenwind rechnen, wenn er in Washington, Moskau oder Brüssel wieder um Gefälligke­iten bettelt. Die Frage ist jetzt, wie radikal er die Umwandlung gestaltet.

Eines ist sicher: Ein zweites Mal kann er die Hagia Sophia nicht zur Moschee machen. Dieser Trumpf ist ausgespiel­t.

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