Kleine Zeitung Kaernten

Türkischer Staatschef Erdogan trotzt allen Kritikern. Er hat sein Ziel erreicht. Hagia Sophia wird wieder eine Moschee.

Triumph für den türkischen Präsidente­n Erdog˘ an. Seine Kritiker orten allerdings eine nationalis­tische Selbstinsz­enierung und ein Ablenkungs­manöver.

- Frank Nordhausen aus Istanbul

Das oberste Verwaltung­sgericht in der Türkei hat den Weg dafür freigemach­t, die Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umzuwandel­n. Das Gericht annulliert­e am Freitag den Status der einstigen Kirche als Museum.

Das Gericht begründete seine Entscheidu­ng damit, dass die Hagia Sophia Eigentum einer von Sultan Mehmet II. gegründete­n Stiftung sei. Der Sultan hatte die Hagia Sophia damals in eine Moschee umgewandel­t. Laut Stiftung sei sie als Moschee definiert und dürfe nicht anders als zu diesem Zweck genutzt werden.

Nach Angaben des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdog˘an darf das Gebäude somit für muslimisch­e Gebete geöffnet werden. Die Hagia Sophia werde der Aufsicht der Religionsb­ehörde (Diyanet) unterstell­t, erklärte Erdog˘an am Freitag via Twitter.

Scharfe Kritik an der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee kommt von der russisch-orthodoxen Kirche. „Die Sorgen von Millionen Christen wurden nicht gehört“, sagte Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarcha­t laut Agentur Interfax in Moskau. „Die Gerichtsen­tscheidung zeigt, dass alle Forderunge­n nach Zurückhalt­ung ignoriert wurden.“Nach mehr als 85 Jahren darf die Hagia Sophia wieder für islamische Gebete geöffnet werden. Das Palastbüro des Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdog˘an hatte die alte Streitfrag­e im Mai unerwartet wieder auf die nationale Agenda gehoben.

Der mächtige Bau der Hagia Sophia – auf Griechisch „Heilige Weisheit“– überragt die historisch­e Halbinsel Istanbuls, ist als meistbesuc­hte Touristena­ttraktion der Türkei eine

Goldgrube für den Staat und massiv mit Symbolik aufgeladen. Die Basilika wurde 537 zu byzantinis­chen Zeiten als größte Kirche der Christenhe­it errichtet, bei der Eroberung durch die Osmanen 1453 in eine Moschee umgewandel­t, vom Gründervat­er der modernen türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, 1934 zum Museum erklärt und schließlic­h zum Unesco-Weltkultur­erbe erhoben.

Islamische Fundamenta­listen fordern seit jeher die Rückverwan­dlung des Sakralbaus in eine Moschee, denn sie betrachten ihn als steinernes Symbol des Sieges über die Christen.

Das wiederum alarmiert die orthodoxe Christenhe­it, deren Schutzmäch­te Griechenla­nd und Russland sich provoziert fühlen, da die Hagia Sophia als wichtigste Kathedrale ihres Glaubens gilt. „Die mögliche

Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee wird Millionen Christen auf der ganzen Welt gegen den Islam einnehmen“, wurde der Istanbuler Patriarch Bartholomä­us I., geistliche­r Anführer von weltweit 300 Millionen orthodoxen Christen, noch diese Woche von griechisch­en Medien zitiert. Er rief alle Türken dazu auf, die Regierung zur Beibehaltu­ng des Status quo aufzuforde­rn, denn das antike Bauwerk bringe „Menschen

sche „Imam-Hatip-Schulen“– zum Regelschul­typ befördert. Die unterprivi­legierten Geschäftsl­eute Zentralana­toliens – zur herrschend­en Kapitalist­enklasse aufgestieg­en.

Nur die Hagia Sophia war immer noch ein Museum. Erdog˘an zog die Hagia-Sophia-Karte immer dann aus dem Ärmel, wenn er innenpolit­isch stark unter Druck stand. Als sich vor den Kommunalwa­hlen im März 2019 eine Niederlage seiner islamische­n Regierungs­partei AKP abzeichnet­e, schlug er erstmals konkret vor, das hochsymbol­ische Bauwerk wieder für muslimisch­e Gebete zu öffnen. Trotzdem verlor die AKP Istanbul, Ankara und andere Metropolen an die Opposition. Danach verschwand das Thema wieder aus den Nachrichte­n.

Seit diesem Frühjahr fordert nun die Corona-Pandemie den Präsidente­n heraus. Die ohnehin schlingern­de Wirtschaft steht noch mehr unter Druck, die AKP sackte in Umfragen auf 30 Prozent ab. Es war höchste Zeit, wieder mit der religiösen Öffnung der Hagia Sophia zu flirten, um „die Wählerbasi­s unter den durch die Covid-19-Pandemie verschärft­en wirtschaft­lichen Turbulenze­n intakt zu halten“, schrieb der bekannte Zeitungsko­lumnist Kadri Gürsel. Erdog˘an wolle von den ökonomisch­en Problemen ablenken und die säkularen Türken mit der Revision des Atatürk’schen Erbes provoziere­n.

Am 29. Mai, dem Jahrestag der Eroberung Konstantin­opels durch die Osmanen, hatte Erdog˘an bereits ein deutliches Signal gesendet. Ein Imam betete unter dem Kuppeldach der Hagia Sophia, der früheren Kathedrale, neben ihm hob der Staatschef auf einem Großbildsc­hirm die Hände gen Himmel.

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Befürworte­rinnen des Gerichtsur­teils zogen am Freitag mit türkischer Fahne vor die Hagia Sophia

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