Der Geist, der ein Zuhause sucht
Der mit dem Etikett „Fürst der Finsternis“versehene Nick Cave veröffentlicht heute sein neues Werk namens „Ghosteen“. Ein wandernder, suchender Geist ist auch der Musiker selbst.
Höchst erfolgreich und viel geschätzt, hat Nick Cave – gerne und natürlich viel zu kurz gegriffen als „Fürst der Finsternis“schubladisiert – sich stets den Formalismen des Musikbusiness entzogen. Erst auf Anfrage eines Fans hat der Australier (62) unlängst völlig überraschend kundgetan, dass demnächst ein neues Werk von ihm erscheinen werde. Und „demnächst“ist jetzt. In der Nacht auf heute, Freitag, wird das Doppelalbum „Ghosteen“weltweit auf Youtube veröffentlicht, dann auf diversen Streamingdiensten und in der kommenden Woche als CD und auf Vinyl.
Ob das Werk des Meisters erneut zum Meisterwerk geraten ist, lässt sich noch nicht sagen, zumal es nicht, wie üblich, SingleVorboten gegeben hat. Auch auf diese HäppchenInszenierung pfeift Cave. Nur so viel ist bekannt: „Ghosteen“besteht aus zwei Teilen: Teil 1, acht Songs, sind laut Cave „die Kinder“; Teil 2, drei Songs, „die Eltern“. Und zum Inhalt: Ghosteen sei ein „migrating spirit“, also ein wandernder Geist. Eingespielt hat Cave die neuen Songs mit seinen alten Weggefährten, den brachial-genialen „Bad Seeds“.
„Ghosteen“ist das erste Album nach „Skeleton Tree“vor drei Jahren. Mitten in den Aufnahmen war Cave 2015 in eine totale Lebensfinsternis gestoßen worden: Sein 15 Jahre alter Sohn Arthur stürzte im englischen Brighton im Drogenrausch über eine Klippe in den Tod. „Skeleton Tree“ erwuchs sodann zur manischen Trauerarbeit und waidwunden Trostsuche, zum flüsternden Wimmern und zur fluchenden Flucht – und gleichzeitig zu einem abgründig schönen Album.
„Fürst der Finsternis“greift auch deshalb zu kurz, weil Nick Cave immer mehr war: ein sehnsüchtig Suchender, ein moribund Tobender, aber gleichzeitig voll Lebenslust Torkelnder, der stets dem Licht, der Erlösung entgegenstrebte. Früher ein hermetischer Solitär, ein unnahbarer „King of Pain“, hat Cave nach dem Tod des Kindes den Kontakt zum Volk, zum Publikum gesucht. Doch die Narbenschau, die Operation am offenen Herzen, geriet ihm nie zur abgeschmackten Nabelschau. Vielmehr scheint ein wandernder Geist ein bewohntes Zuhause zu suchen.