Überwundene Grenzen
Der Bleiburger Raimund Grilc hat noch die Schrecken an der Grenze zu Slowenien erlebt. Er hofft, dass der Enkelgeneration Frieden und Freiheit erhalten bleiben.
Bei Opa zu sitzen und von ihm liebevoll gedrückt zu werden, das genießt Marlene mit ihren neun Monaten. Wenn sie älter ist, wird sie bestimmt seine Erzählungen genießen. Denn das, was Raimund Grilc (68) vom familieneigenen Bauernhof, von der zerrissenen Familie, von Grenzsteinen im Wald und eindringlichen Mahnungen seiner Eltern, von bewaffneten jugoslawischen Grenzsoldaten, Geflüchteten, Schmugglern, Schüssen und gemeinsamen Festen berichten kann, ist hoch spannend.
Lokowitzen 21, Gemeinde Bleiberg/Pliberk, vulgo Mager, seit 1849 in Familienbesitz. Wohin man blickt: Wiesen, Felder, Obstgärten und viel Wald. Die Straße schlängelt sich von Loibach herauf. Der Bauernhof der Familie Grilc ist der letzte hier oben. Sohn Andreas, der die Landwirtschaft übernommen hat, wohnt im Neubau nebenan. Die wenigen Nachbarn sind einige Hundert Meter entfernt.
„Gleich da drüben ist Slowenien“, zeigt Raimund Grilc, der ehemalige ÖVPMandatar und Bürgermeister von Bleiburg/Pliberk in Richtung Wald und grüne Staatsgrenze. Lokowitzen liegt am Hügelzug zwischen den zwei Grenzübergängen Grablach und Raunjak.
Die Ortschaft war früher viel größer. Doch 1920 wurde die Grenze
„nach nicht klaren Kriterien“(Grilc) gezogen. Mehr als 20 Höfe und Häuser befanden sich plötzlich im SHSStaat, auch jener einer Kusine seiner Mutter. Auf österreichischem Boden blieben nur drei. „Unsere Familie hat sich vor dem Zweiten Weltkrieg die serbische Vorherrschaft und danach 45 Jahre kommunistisches Jugoslawien erspart. Uns geht es gut“, so zitiert Grilc oftmalige Aussagen seine Eltern.
Der Wald war für ihn und seine drei jüngeren Schwestern in Kindertagen beliebter Spielplatz. „Die einige Hundert Meter entfernte Staatsgrenze haben wir als bedrohlich erlebt. Unsere Eltern haben uns immer gewarnt: Geht ja nicht an den Grenzsteinen vorbei, sonst werdet ihr verhaftet.“Doch die Grenze in der Natur ist schwer einsehbar, Grenzsteine sind oft umwachsen, einen Zaun gab es nie. Jugoslawische Grenzsoldaten hätten immer wieder Leute verhaftet. Die Grenzsoldaten seien ganz bewusst aus Serbien oder Mazedonien, nicht aber aus Slowenien gewesen, „wir konnten uns also nicht verständigen“.
Beim Mager zu Hause wurde Slowenisch gesprochen. „Doch meine Mutter hat uns auch Deutsch beigebracht. Wir sollten beide Sprachen lernen“, erzählt Grilc, der dreifacher Vater und bald zweifacher Opa ist. Was seine Mutter ebenfalls vorgegeben habe: „Wenn jemand ins Haus kommt, der nur Deutsch spricht, dann wird Deutsch gesprochen. Wie jemand redet, ist egal. Entscheidend ist der Mensch.“
die Grenze schrieb, der Kärntner Abwehrkampf sei in seiner Familie nie Thema gewesen, erzählt Grilc. Partisanen habe es hier nicht gegeben. Die Familien seiner Eltern waren Bergknappen aus dem Mießtal. 10.-Oktober-Feiern hatten im Elternhaus keine Bedeutung. „Weil Reden und Geist immer darauf ausgerichtet waren, dass die Deutschen gewonnen und die Slowenen verloren haben.“Er selbst sei erst während seines Geschichte-Studiums draufgekommen, „dass alles komplexer ist und die Volksabstimmung ohne die Stimmen der Slowenen nie für Österreich ausgegangen wäre.“Die Abstimmung als demokratischen Akt, die streicht Grilc hervor. So wie früher als AHSProfessor und Bürgermeister.
Für meine Enkelgeneration wünsche ich mir, dass Frieden und
Freiheit erhalten bleiben. Und dass das Bewusstsein bleibt, dass das etwas Besonderes
ist.
Früher einmal seien vereinzelt Flüchtlinge über die grüne Grenze gekommen. Vor allem junge Männer, die dem Militärdienst entkommen wollten. An der Außenwand des Mager-Hofes waren offizielle Tafeln in Deutsch und Slowenisch angebracht, damit die Geflüchteten wussten, dass sie bereits auf österreichischem Boden sind. Heute hat Andreas Grilc die Tafeln zur Erinnerung in seinem Haus aufgehängt.
Erinnerungen gibt es hier auch an die Schmuggler. Slowenen kauften in Bleiburg ein, fuhren mit dem Auto nahe zum Mager-Hof, brachten Kaffee, Südfrüchte, Fahrräder oder Bohrmaschinen in den Wald. Dann fuhr man mit dem Auto offiziell über die Staatsgrenze, und holte die Waren von der anderen Seite ab. Die Kärntner hätten umgekehrt vor allem Zigaretten geschmuggelt.
Andreas, Stephan und Eva Maria, die drei Kinder von Raimund Grilc, haben die Grenze 1991 als extrem bedrohlich erlebt. „Beim Grenzübergang Grablern gab es zwei Tote. Wir hörten die Schüsse, als wir beim Frühstück saßen“, erzählt Grilc vom Unabhängigkeitskrieg Sloweniens. „Ich war damals wenige Monate Bürgermeister. Keiner wusste, wie sich das entwickelt.“Erinnerungen an die Wochen, als das österreichische Bundesheer hier im Grenzeinsatz war, Panzer auf den Straßen fuhren, acht Soldaten am Hof einquartiert waren.
Heute sind Grenzen vor allem Grundstücksgrenzen zum Nachbarn, vergleicht Grilc. Ängste gibt es nicht mehr. Zum EU-Beitritt Sloweniens wurden gemeinsame Feste gefeiert. „Wir fahren über die Staatsgrenze, als ob nichts wäre. Alles ist total entspannt.“Immer wieder gibt es gemeinsame Übungen von Feuerwehren, Arbeitnehmer pendeln von einem Staat in den anderen. Slowenen kaufen Grundstücke in Bleiburg, weil es hier billiger ist.
gab es nur einmal noch. 2016 wollte das Innenministerium im Zuge der Flüchtlingswelle hier im Wald 1,50 Meter hohe Grenzzäune errichten, erzählt Grilc entsetzt. Es blieb bei den Plänen.
Grilc freut sich, dass Bleiburg den „unseligen Begriff Grenzstadt“ablegen konnte und eine offene Kulturstadt hin zu Slowenien ist. „Das ist ein ganz anderer Grundkonsens.“Marlene wird später vieles aus den Erzählungen ihres Opas erfahren. „Ich wünsche mir, dass Frieden und Freiheit für meine Enkelgeneration erhalten bleiben. Und dass das Bewusstsein bleibt, dass das etwas Besonderes ist.“