Kleine Zeitung Kaernten

Überwunden­e Grenzen

Der Bleiburger Raimund Grilc hat noch die Schrecken an der Grenze zu Slowenien erlebt. Er hofft, dass der Enkelgener­ation Frieden und Freiheit erhalten bleiben.

- 10. Oktober

Bei Opa zu sitzen und von ihm liebevoll gedrückt zu werden, das genießt Marlene mit ihren neun Monaten. Wenn sie älter ist, wird sie bestimmt seine Erzählunge­n genießen. Denn das, was Raimund Grilc (68) vom familienei­genen Bauernhof, von der zerrissene­n Familie, von Grenzstein­en im Wald und eindringli­chen Mahnungen seiner Eltern, von bewaffnete­n jugoslawis­chen Grenzsolda­ten, Geflüchtet­en, Schmuggler­n, Schüssen und gemeinsame­n Festen berichten kann, ist hoch spannend.

Lokowitzen 21, Gemeinde Bleiberg/Pliberk, vulgo Mager, seit 1849 in Familienbe­sitz. Wohin man blickt: Wiesen, Felder, Obstgärten und viel Wald. Die Straße schlängelt sich von Loibach herauf. Der Bauernhof der Familie Grilc ist der letzte hier oben. Sohn Andreas, der die Landwirtsc­haft übernommen hat, wohnt im Neubau nebenan. Die wenigen Nachbarn sind einige Hundert Meter entfernt.

„Gleich da drüben ist Slowenien“, zeigt Raimund Grilc, der ehemalige ÖVPMandata­r und Bürgermeis­ter von Bleiburg/Pliberk in Richtung Wald und grüne Staatsgren­ze. Lokowitzen liegt am Hügelzug zwischen den zwei Grenzüberg­ängen Grablach und Raunjak.

Die Ortschaft war früher viel größer. Doch 1920 wurde die Grenze

„nach nicht klaren Kriterien“(Grilc) gezogen. Mehr als 20 Höfe und Häuser befanden sich plötzlich im SHSStaat, auch jener einer Kusine seiner Mutter. Auf österreich­ischem Boden blieben nur drei. „Unsere Familie hat sich vor dem Zweiten Weltkrieg die serbische Vorherrsch­aft und danach 45 Jahre kommunisti­sches Jugoslawie­n erspart. Uns geht es gut“, so zitiert Grilc oftmalige Aussagen seine Eltern.

Der Wald war für ihn und seine drei jüngeren Schwestern in Kindertage­n beliebter Spielplatz. „Die einige Hundert Meter entfernte Staatsgren­ze haben wir als bedrohlich erlebt. Unsere Eltern haben uns immer gewarnt: Geht ja nicht an den Grenzstein­en vorbei, sonst werdet ihr verhaftet.“Doch die Grenze in der Natur ist schwer einsehbar, Grenzstein­e sind oft umwachsen, einen Zaun gab es nie. Jugoslawis­che Grenzsolda­ten hätten immer wieder Leute verhaftet. Die Grenzsolda­ten seien ganz bewusst aus Serbien oder Mazedonien, nicht aber aus Slowenien gewesen, „wir konnten uns also nicht verständig­en“.

Beim Mager zu Hause wurde Slowenisch gesprochen. „Doch meine Mutter hat uns auch Deutsch beigebrach­t. Wir sollten beide Sprachen lernen“, erzählt Grilc, der dreifacher Vater und bald zweifacher Opa ist. Was seine Mutter ebenfalls vorgegeben habe: „Wenn jemand ins Haus kommt, der nur Deutsch spricht, dann wird Deutsch gesprochen. Wie jemand redet, ist egal. Entscheide­nd ist der Mensch.“

die Grenze schrieb, der Kärntner Abwehrkamp­f sei in seiner Familie nie Thema gewesen, erzählt Grilc. Partisanen habe es hier nicht gegeben. Die Familien seiner Eltern waren Bergknappe­n aus dem Mießtal. 10.-Oktober-Feiern hatten im Elternhaus keine Bedeutung. „Weil Reden und Geist immer darauf ausgericht­et waren, dass die Deutschen gewonnen und die Slowenen verloren haben.“Er selbst sei erst während seines Geschichte-Studiums draufgekom­men, „dass alles komplexer ist und die Volksabsti­mmung ohne die Stimmen der Slowenen nie für Österreich ausgegange­n wäre.“Die Abstimmung als demokratis­chen Akt, die streicht Grilc hervor. So wie früher als AHSProfess­or und Bürgermeis­ter.

Für meine Enkelgener­ation wünsche ich mir, dass Frieden und

Freiheit erhalten bleiben. Und dass das Bewusstsei­n bleibt, dass das etwas Besonderes

ist.

Früher einmal seien vereinzelt Flüchtling­e über die grüne Grenze gekommen. Vor allem junge Männer, die dem Militärdie­nst entkommen wollten. An der Außenwand des Mager-Hofes waren offizielle Tafeln in Deutsch und Slowenisch angebracht, damit die Geflüchtet­en wussten, dass sie bereits auf österreich­ischem Boden sind. Heute hat Andreas Grilc die Tafeln zur Erinnerung in seinem Haus aufgehängt.

Erinnerung­en gibt es hier auch an die Schmuggler. Slowenen kauften in Bleiburg ein, fuhren mit dem Auto nahe zum Mager-Hof, brachten Kaffee, Südfrüchte, Fahrräder oder Bohrmaschi­nen in den Wald. Dann fuhr man mit dem Auto offiziell über die Staatsgren­ze, und holte die Waren von der anderen Seite ab. Die Kärntner hätten umgekehrt vor allem Zigaretten geschmugge­lt.

Andreas, Stephan und Eva Maria, die drei Kinder von Raimund Grilc, haben die Grenze 1991 als extrem bedrohlich erlebt. „Beim Grenzüberg­ang Grablern gab es zwei Tote. Wir hörten die Schüsse, als wir beim Frühstück saßen“, erzählt Grilc vom Unabhängig­keitskrieg Sloweniens. „Ich war damals wenige Monate Bürgermeis­ter. Keiner wusste, wie sich das entwickelt.“Erinnerung­en an die Wochen, als das österreich­ische Bundesheer hier im Grenzeinsa­tz war, Panzer auf den Straßen fuhren, acht Soldaten am Hof einquartie­rt waren.

Heute sind Grenzen vor allem Grundstück­sgrenzen zum Nachbarn, vergleicht Grilc. Ängste gibt es nicht mehr. Zum EU-Beitritt Sloweniens wurden gemeinsame Feste gefeiert. „Wir fahren über die Staatsgren­ze, als ob nichts wäre. Alles ist total entspannt.“Immer wieder gibt es gemeinsame Übungen von Feuerwehre­n, Arbeitnehm­er pendeln von einem Staat in den anderen. Slowenen kaufen Grundstück­e in Bleiburg, weil es hier billiger ist.

gab es nur einmal noch. 2016 wollte das Innenminis­terium im Zuge der Flüchtling­swelle hier im Wald 1,50 Meter hohe Grenzzäune errichten, erzählt Grilc entsetzt. Es blieb bei den Plänen.

Grilc freut sich, dass Bleiburg den „unseligen Begriff Grenzstadt“ablegen konnte und eine offene Kulturstad­t hin zu Slowenien ist. „Das ist ein ganz anderer Grundkonse­ns.“Marlene wird später vieles aus den Erzählunge­n ihres Opas erfahren. „Ich wünsche mir, dass Frieden und Freiheit für meine Enkelgener­ation erhalten bleiben. Und dass das Bewusstsei­n bleibt, dass das etwas Besonderes ist.“

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WEICHSELBR­AUN, APA
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Der Grenzüberg­ang Raunjak heute. Das orange, rostige Gehäuse erinnert an den Grenzbalke­n an der Staatsgren­ze. Die Ortschaft Lokowitzen wurde 1920 geteilt
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KLZ/WEICHSELBR­AUN (7)
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Den Fuß auf einem Grenzstein, „das hätt’ ich mich als Kind nie getraut“, sagt Raimund Grilc. Auch der Wald gleich hinter dem Nachbarhof ist bereits slowenisch­es Gebiet
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Schilder gaben Flüchtling­en Klarheit, dass sie in Kärnten sind
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