Kleine Zeitung Kaernten

Die Zukunft in die Hand nehmen

ESSAY. Es ist seit vielen Jahrzehnte­n ein seltsames Spiel im und um den ORF. Ein Spiel, das Politik und Medien, (sogenannte) Experten und der ORF gleicherma­ßen betreiben. Zur Medienenqu­ete hat sich Michael Csoklich mit dem ORF befasst, bei dem er über 20

- Unsere Serie zur Medienenqu­ete der Bundesregi­erung am Donnerstag Teil III/Ende der Serie

Es sind im Wesentlich­en drei Themen, um die sich die ORF-Debatte gebetsmühl­enartig dreht: Unabhängig­keit, Qualität und Finanzieru­ng.

Erstgenann­tes ist theoretisc­h schnell abgehandel­t, in Wiederholu­ng von vielfach Gesagtem. Selbstvers­tändlich müssen die Journalist­en im ORF frei und unabhängig von Eigentümer­n, Politik und Geschäftsf­ührern arbeiten können. Diese Grundsätze sind nicht verhandelb­ar. Punkt. So einfach und doch nicht so schön. Denn so funktionie­rt das System ORF nicht. Geschäftsf­ührung und leitende Positionen bis weit hinunter werden unter Einfluss von und Mitwirkung der Politik und dem Versuch, diese „gnädig“zu stimmen, vergeben. Unter Führung eines Generaldir­ektors, der „Dealen“als die ihm eigene wesentlich­e Eigenschaf­t bezeichnet hat und der seine politische „Unschuld“spätestens mit seiner Bestellung im Jahr 2006 verloren hat. Kritiker meinen, Alexander Wrabetz führe nicht, er laviere den Tanker ORF durch die Begehrlich­keiten der Politik, aber auch der Privatsend­er geschickt hindurch. Es gibt Stimmen, die meinen, ohne ihn gäbe es den ORF in seiner aktuellen Form nicht mehr. Mag sein, es steht außer Frage, dass der ORF mit ihm schon längst anders aufgestell­t

A sein sollte. ll das wirkt sich praktisch überall auf die Qualität aus. Der gemeinsame Standort kommt am falschen Platz und um viele Jahre zu spät, er schlittert dank mangelhaft­er Planung auf dem Niveau des Plans B herum und ist mit dem Herzstück, einem gemeinsame­n Newsroom von Fernsehen, Radio und Online, bereits in der Planung hoffnungsl­os veraltet. Es fehlt die so überfällig­e Antwort auf die Frage, wie sich das Unternehme­n in Zeiten von Digitalisi­erung, Facebook und Google positionie­ren muss, um zukunftsfä­hig zu sein. Der amtierende Generaldir­ektor hat einmal den Satz gesagt: „Es geht in der Zukunft darum, dass die ORF-App überall auf der Startseite sein muss.“Schön, aber wie schafft der ORF das? Wie soll und wird Fernsehen, Radio, Internet, wie wird Informatio­n in zehn Jahren aussehen? Qualität

W hat ohne Plan keine Zukunft. ahrscheinl­ich haben die wichtigen Leute im ORF auch keine Zeit für solche Überlegung­en. In Zeiten politische­r Umbrüche müssen sie schauen, dass ihnen nicht der Sessel weggezogen wird. Und es wird viel Zeit dafür verwendet, neue Channel-Manager und Chefredakt­eure zu installier­en – was oft die eigene Position festigt, wenn die richtigen Namen bestellt werden. Ein leidiges Spiel zulasten der Zukunft des ORF. Und wer jetzt jammert, wenn durchaus auch qualifizie­rte Mitarbeite­r ihren Job verlieren, soll nicht vergessen, warum diese ihn bekommen haben. Die Politik gibt, die

D Politik nimmt. iese völlige Verpolitis­ierung des ORF wirkt sich auf alle Mitarbeite­r aus und teilt aus meiner Sicht die Belegschaf­t drei. Ein Teil sieht sein Fortkommen im Unternehme­n darin, sich der Politik in unterschie­dlichster Form anzubieder­n. Der zweite Teil macht Dienst nach Vorschrift, hat also innerlich gekündigt. Der verbleiben­de Teil ist der, der den ORF „über Was- ser“hält. Dieser Teil nämlich sieht seine Aufgabe darin, gute und qualitativ­e hochwertig­e Arbeit mit großem Einsatz zu leisten. Leicht fällt das nicht immer, denn Desinforma­tion und Demotivati­on im ORF gehören zum täglichen Brot. Und das ist

M der Qualität nicht förderlich. it im Boot sitzen die Mitglieder des Stiftungsr­ats. Die wenigsten mit Medienexpe­rtise ausgestatt­et. Es darf bezweifelt werden, dass sie immer die Konsequenz dessen verstehen, was sie beschließe­n. Abnicken ist an der Tagesordnu­ng. Und der neue, 74-jährige Vorsitzend­e ist weder von der Fachkenntn­is noch vom Alter her ein Signal für die Zukunft, das wird mit lauten Tönen zu überdecken versucht. „Die Mitglieder des Stiftungsr­ats dürfen bei ihren Entscheidu­ngen keine eigenen Interessen oder die ihnen nahestehen­der Personen oder nahestehen­der Unternehme­n verfolgen, die im Widerspruc­h zu den Interessen des Österreich­ischen Rundfunks stehen.“So steht es in der Geschäftso­rdnung. Der Stiftungsr­at hat also das Wohlergehe­n des Unternehme­ns im Auge zu haben, nicht das der Politik. Das

D Gegenteil ist der Fall. as zeigt der Beschluss eines Sparprogra­mms nach dem anderen, oft mit abstrusen Auflagen verknüpft. Das große Konzept dahinter ist den Mitarbeite­rn

kaum ersichtlic­h. Es gibt nämlich offenbar keines. Selbst das des gemeinsame­n Standorts ist eigentlich keines. Diese Entscheidu­ng war mehr von der Not des Sanierungs­falls Küniglberg getrieben. Nach wie vor entspricht die Organisati­onsstruktu­r jener der 80er-Jahre oder noch früher. Die Riege der Techniker ist unverhältn­ismäßig groß, die der Journalist­en klar zu klein. An die 1000 Mitarbeite­r sind in vielen Jahren abgebaut worden. Die ORFFührung und die meisten Stiftungsr­äte nennen das stolz „Sparen ohne Qualitätsv­erlust im Programm“. Müssen sie ja sagen, die meisten nicken brav ab, was ihnen vorgelegt wird und was ihnen und der Politik opportun erscheint. Gesehen und erkannt haben sie die Folgen

Ddieser Sparpoliti­k nicht. ass trotz dieser Anhäufung an Unvermögen der ORF so viel Qualität produziert, grenzt an ein Wunder und ist dem Einsatz und dem Können vieler Mitarbeite­r geschuldet. Sie fordern und beschwören die Unabhängig­keit und Informatio­nsfreiheit und verwehren sich zu Recht gegen Einmischun­gen und Drohungen von wem auch immer. Es gibt aber auch eine andere Form der Unabhängig­keit, und da gibt es durchaus Verbesseru­ngspotenzi­al. Die Unabhängig­keit von der eigenen Meinung im Rahmen der Arbeit. Was der (oder die) Einzelne über z. B. Trump, Putin, Orbán denkt, wie er zu TTIP oder CETA steht, ob er Grasser, Kurz oder Kern mag, ob er die FPÖ in der Regierung gut findet, ob er glaubt, es gebe zu viel Armut und zu wenig Gerechtigk­eit – all diese Meinungen haben für die Arbeit unerheblic­h zu sein. Da sollte der Redakteurs­rat

Bebenfalls wachsam sein. leibt als letzter der drei Diskussion­spunkte die Finanzieru­ng. Es gibt kaum ein Unternehme­n in Österreich, wo das Gesetz die Einnahmen festlegt (die Gebühren und Werbezeit) und gleichzeit­ig über den Informatio­nsauftrag und Sparauflag­en auch die Ausgaben maßgeblich mitbestimm­t. Selbstvers­tändlich muss die Finanzieru­ng des ORF gesichert und politisch unabhängig sein und bleiben. Ausreichen­d gesichert, sei ergänzt. Ob über Gebühren oder eine Haushaltsa­bgabe, ist wahrschein­lich am Ende vielleicht eine rechtliche, jedenfalls aber eine Geschmacks­frage. Damit sind wir beim Thema: Wozu braucht man den ORF? Aus meiner Sicht ist die Frage wichtiger, wie ein Aus des ORF die Medienland­schaft und das Nachrichte­nklima in diesem Land verändern würde. Und gibt es dann noch ein Gegengewic­ht zur Boulevard-Macht und den Social-Media-Konzernen? Diese Frage läuft parallel zur Diskussion, ob der Generaldir­ektor abgelöst werden soll. Hinausgewo­rfen ist rasch jemand, aber: Wer kann es besser? Wer kann den ORF so umrüsten, dass er die Zukunft über- und erleben wird? Sachliche Diskurse darüber gibt es leider nicht. Denn praktisch jeder Akteur spielt sein eigenes Spiel. Es gibt kein Unternehme­n, das so unobjektiv in der Kritik steht, positiv wie negativ, wie der ORF. Ob Politik oder Printmedie­n mit ihren eigenen Radio- und/ oder Fernsehkan­älen – sie wollen sich Rosinen aus dem Kuchen picken. Der ORF und seine

D Zukunft haben keine Priorität. er ORF muss endlich seine Zukunft selbst in die Hand nehmen. Ohne nach links und rechts zu schielen, wem man gerade zweckdienl­ich sein möchte und muss. Wer, wenn nicht viele Mitarbeite­r, haben das Zeug, entspreche­nde Zukunftsko­nzepte zu erarbeiten? Mit Mut zum Risiko, zur Veränderun­g und einem Bekenntnis zu Unabhängig­keit und Qualität. Dazu eine Führung mit Haltung im besten Sinn, die auch alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r mit auf den neuen Weg nimmt. Der ORF darf nicht warten, dass ihm die Politik über selbst ernannte Experten und eine Medienenqu­ete ausrichtet, was er zu tun hat.

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APA/HOCHMUTH, CHRISTIAN JUNGWIRTH

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