Todesstrafe fürMohammed
Ein Gericht in Kairo verhängt über den gestürzten islamistischen ägyptischen Präsidenten die Todesstrafe. Er soll einen Gefängnisausbruch organisiert haben.
Nieder mit der Militärdiktatur“und „Mursi ist unser Präsident“skandierte die kleine Menge vor den Toren der Polizeiakademie in Neu-Kairo. Drinnen im Saal reckte Ex-StaatschefMohammed Mursi im Angeklagtenkäfig seine Fäuste in die Höhe, als Richter Shaaban elShami ihn und 105 Mitangeklagte zum Tode verurteilte, darunter zahlreiche Führungsmitglieder der Muslimbruderschaft.
Das Gericht warf den Angeklagten, die zu Beginn des Arabischen Frühlings als politische Häftlinge hinter Gittern saßen, vor, zusammen mit rund 20.000 Kriminellen am 28. Jänner 2011 geflohen zu sein. Mubarak hatte damals gezielt die Gefängnistore öffnen lassen und die Polizei von den Straßen beordert, um seine aufständische Bevölkerung einzuschüchtern. Nach ägyptischem Recht müssen die Todesurteile jetzt dem ägyptischen Obermufti vorgelegt werden, der als Scharia-Experte ein Beratungsrecht hat. Das endgültige Verdikt soll am 2. Juni verkündigt werden. Es kann noch angefochten werden.
Schlechtes Omen
Das Urteil ist ein weiteres düsteres Vorzeichen für die innenpolitische Entwicklung am Nil. Nichts deutet darauf hin, dass das militärgestützte Regime die Unterdrückung aller Andersdenkenden lockern wird. Noch nie in seiner modernen Geschichte hat Ägyptens Justiz gegen einen früheren Präsidenten die Todesstrafe verhängt. Mursis Vorgänger Mubarak dagegen könnte bald freikommen, nachdem ein Gericht seinen Prozess wegen der über 850 erschossenen Demonstranten eingestellt hat und der Ex-Diktator seine dreijährige Haftstrafe für Unterschlagung bald abgesessen haben wird.
Gegen den vom Militär im Juli 2013 gestürzten Mohammed Mursi laufen insgesamt fünf Verfahren. Im ersten Prozess, in dem ihm Übergriffe seiner Anhänger vor dem Präsidentenpalast im November 2012 zur Last gelegt wurden, hatte der Ex-Staatschef zwanzig Jahre Haft erhalten. In dem gestern abgeschlossenen zweiten Verfahren geht es um den Massenausbruch aus dem Gefängnis inWadiNatrun im Jänner 2011. Das dritte Verfahren dreht sich um Hochverrat und eine angebliche Verschwörung mit ausländischen Mächten, der Hamas, der Hisbollah und dem Iran, um Ägypten zu destabilisieren. Auch hier wurden gestern 16 der 36 Angeklagten zum Tode verurteilt. Mursis Strafmaß will das Gericht erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt geben.
Im vierten Verfahren, dessen Urteile noch ausstehen, geht es umangeblichen Geheimnisverrat des Präsidenten und zehn Mitangeklagter an den Sender „Al Jazeera“und das Golfemirat Qatar, das Ägypten während Mursis Amtszeit mit Milliardenkrediten und kostenlosen Gaslieferungen unter die Arme griff. Im fünften Verfahren ist Mursi angeklagt, die Justiz beleidigt zu haben.
Sollte das endgültige Todesurteil gegen Mursi am 2. Juni verkündet werden, wäre das einen Tag vor dem Staatsbesuch von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi in Deutschland. Die Reise, für die Kairo monatelang in Berlin antichambrierte, würde noch stärker durch die krassen Menschenrechtsverstöße des Regimes am Nil überschattet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoganˇ warf dem Westen gestern in einer ersten Reaktion vor, den Militärputsch politisch zu ignorieren, mit dem der frei gewählte Präsident Mursi abgesetzt worden sei.
Interner Machtkampf
Gleichzeitig allerdings deuten die Härte des Urteils und der endgültige Verkündigungstermin 24 Stunden vor dem geplan- ten Deutschlandbesuch darauf hin, dass sich die Konflikte innerhalb des Machtkartells in Kairo verschärfen. So hat Sisi inzwischen in zahlreichen Interviews versprochen, sich für Haftentlassung und Begnadigung junger Demokratieaktivisten einzusetzen, ohne dass tatsächlich etwas geschieht. Im Jänner geriet der Präsident nach der Erschießung der Demonstrantin Shaimaa ElSabbagh durch die Polizei mit dem damaligen Innenminister aneinander und forderte ihn zum Rücktritt auf. Der Innenminister jedoch weigerte sich, sodass Sisi seine Absetzung erst sechs Wochen später in einer Kabinettsumbildung durchsetzen konnte.
Seitdem häufen sich in auffälliger Weise polizeikritische Berichte in der ansonsten handzahmen, regimetreuen Presse. Allein in den Monaten Jänner bis April wurden fast 6000 Menschen als angebliche Terroristen verhaftet. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Gefangenen seit dem Sturz von Mursi auf mehr als 41.000, darunter zahlreiche Frauen und Minderjährige. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden mehr als hundert Menschen in Verhören zu Tode gefoltert.