Die Presse

Warum Bangladesc­hs Gen Z der Regierung den Krieg erklärt

Bei Protesten starben bisher mehr als 100 Menschen. Auslöser war eine Quotenrege­lung, die ein Gericht nun aufhob. Doch die Wut bleibt.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Das südasiatis­che Land Bangladesc­h ist von der Welt abgeschnit­ten: Das Internet ist gesperrt, nicht einmal SMS können verschickt werden, und die Regierung hat ein striktes Ausgehverb­ot verhängt. Das Land und vor allem die Hauptstadt Dhaka wirken wie im Kriegszust­and: In den verlassene­n Straßen parken ausgebrann­te Autos, Fenstersch­eiben sind zerbrochen, überall patrouilli­eren schwer bewaffnete Sicherheit­skräfte mit dem Befehl, „auf alle in Sichtweite“zu schießen.

Die seit Anfang des Monats anhaltende­n Studentenp­roteste gegen die autoritär regierende Awami-Liga von Premiermin­isterin Sheikh Hasina haben sich von der Millionenm­etropole Dhaka auf das ganze Land ausgeweite­t. In den vergangene­n Tagen eskalierte­n sie: Bei Zusammenst­ößen mit Sicherheit­skräften kamen bisher mehr als hundert Menschen ums Leben, die Spitäler sind voll mit Verletzten.

Anlass für die Explosion einer seit Jahren aufgestaut­en Wut ist die mögliche Wiedereinf­ührung eines alten Quotensyst­ems. Es sieht vor, dass ein Drittel der Anstellung­en im öffentlich­en Dienst für Nachkommen von Soldaten, die 1971 für die Unabhängig­keit des Landes gegen Pakistan kämpften, reserviert sind. Unabhängig­keitskämpf­er und deren Angehörige erhielten lange Zeit einen bevorzugte­n Zugang zu staatliche­n Stellen. 2018 hatte die Regierung die Einstellun­gsquoten zwar nach Studentenp­rosten aufgehoben, doch ein Gericht hatte diese Entscheidu­ng im Juni rückgängig gemacht, nachdem Veteranen geklagt hatten.

Boomende Textilindu­strie

Dies löste bei jungen Menschen im 170-Millionen-Einwohner Land eine Welle der Entrüstung aus. Das einst bitterarme Bangladesc­h gehört zu den am schnellste­n wirtschaft­lich wachsenden Ländern der Welt, doch davon profitiert die Generation Z kaum: Laut Studien suchen etwa 18 Millionen junge Bangladesc­her Arbeit, besonders hoch ist die Zahl der Arbeitslos­en unter Jungakadem­ikern. Bangladesc­h ist einer der weltweit größten Produzente­n von Kleidung, fast alle großen westlichen Textilfirm­en lassen dort produziere­n. Das Land verdient Milliarden am Export von Kleidern, die oft unter sozial prekären und gefährlich­en Bedingunge­n hergestell­t werden. Diese Industrie profitiert vor allem von Billigarbe­it, die meist unterbezah­lte Frauen verrichten.

Junge Bangladesc­her klagen seit Jahren über Korruption und fordern ein System, das auf Leistung beruht. Die neue Regelung verstärke die Ungleichhe­it und sei diskrimini­erend, protestier­en sie und fordern den Rücktritt Hasinas. Die Regierungs­chefin argumentie­rt, dass die Veteranen „den größten Respekt für ihren Beitrag im Krieg gegen Pakistan verdienen“. Politisch braucht Hasina die Unterstütz­ung dieser Gruppen. Die 76-Jährige hatte bei Wahlen im Jänner, die von den wichtigste­n Opposition­sgruppen boykottier­t worden waren, eine vierte Amtszeit in Folge gewonnen.

Die Proteste stellen die bisher größte Herausford­erung für die Regierungs­chefin dar. Zumal am Sonntag die Studenten einen Etappensie­g verbuchten: Der Oberste Gerichtsho­f hob die umstritten­e Quotenrege­lung wieder auf. Demnach müssen nun 93 Prozent der staatliche­n Arbeitsplä­tze ausschließ­lich nach dem Leistungsp­rinzip vergeben werden. Hasina reagierte vorerst nicht darauf.

Nachdem der Oberste Gerichtsho­f die Entscheidu­ng der unteren Instanz kassiert

hatte, war es auf den Straßen in Dhaka am Sonntag ruhig. Vor dem Gerichtsho­f stand ein Panzer, wie auf Fernsehauf­nahmen zu sehen war. Die Regierung lockerte die Ausgangssp­erre nur ein wenig, um der Bevölkerun­g Einkäufe zu ermögliche­n.

Brutale politische Rivalität

Hasima wirft der opposition­ellen Nationalis­t Party (BNP) vor, die Unruhen zu schüren und zu eigenen Zwecken zu missbrauch­en. Die Opposition, die die Studenten unterstütz­t, weist dies strikt zurück. Vor der Wahl im Jänner waren führende BNP-Politiker inhaftiert worden. Zwischen Hasimas AwamiLiga und der konservati­v-religiösen BNP unter der früheren Premiermin­isterin Begum Khaleda Zia herrscht ein erbitterte­r Konkurrenz­kampf, der weit über demokratie­politische Rivalitäte­n hinausgeht.

Beobachter bezweifeln, dass mit dem Gerichtssp­ruch die Lage beruhigt wurde. Viele befürchten, dass durch den Streit über das Gesetz die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Die Studenten haben bereits weitere Proteste ankündigt. Man begrüße das Urteil, aber „die Regierung muss auf alle unsere Forderunge­n eingehen“, hieß es. Innenminis­ter Asaduzzama­n Khan sagte, die Ausgangssp­erre bleibe in Kraft, „bis die Lage sich stabilisie­rt“.

 ?? Reuters/Mohammad Ponir Hossain ?? Ausnahmezu­stand in Dhaka: Ein Soldat kontrollie­rt den Einkauf von Frauen während der Ausgangssp­erre.
Reuters/Mohammad Ponir Hossain Ausnahmezu­stand in Dhaka: Ein Soldat kontrollie­rt den Einkauf von Frauen während der Ausgangssp­erre.

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