Warum Bangladeschs Gen Z der Regierung den Krieg erklärt
Bei Protesten starben bisher mehr als 100 Menschen. Auslöser war eine Quotenregelung, die ein Gericht nun aufhob. Doch die Wut bleibt.
Das südasiatische Land Bangladesch ist von der Welt abgeschnitten: Das Internet ist gesperrt, nicht einmal SMS können verschickt werden, und die Regierung hat ein striktes Ausgehverbot verhängt. Das Land und vor allem die Hauptstadt Dhaka wirken wie im Kriegszustand: In den verlassenen Straßen parken ausgebrannte Autos, Fensterscheiben sind zerbrochen, überall patrouillieren schwer bewaffnete Sicherheitskräfte mit dem Befehl, „auf alle in Sichtweite“zu schießen.
Die seit Anfang des Monats anhaltenden Studentenproteste gegen die autoritär regierende Awami-Liga von Premierministerin Sheikh Hasina haben sich von der Millionenmetropole Dhaka auf das ganze Land ausgeweitet. In den vergangenen Tagen eskalierten sie: Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kamen bisher mehr als hundert Menschen ums Leben, die Spitäler sind voll mit Verletzten.
Anlass für die Explosion einer seit Jahren aufgestauten Wut ist die mögliche Wiedereinführung eines alten Quotensystems. Es sieht vor, dass ein Drittel der Anstellungen im öffentlichen Dienst für Nachkommen von Soldaten, die 1971 für die Unabhängigkeit des Landes gegen Pakistan kämpften, reserviert sind. Unabhängigkeitskämpfer und deren Angehörige erhielten lange Zeit einen bevorzugten Zugang zu staatlichen Stellen. 2018 hatte die Regierung die Einstellungsquoten zwar nach Studentenprosten aufgehoben, doch ein Gericht hatte diese Entscheidung im Juni rückgängig gemacht, nachdem Veteranen geklagt hatten.
Boomende Textilindustrie
Dies löste bei jungen Menschen im 170-Millionen-Einwohner Land eine Welle der Entrüstung aus. Das einst bitterarme Bangladesch gehört zu den am schnellsten wirtschaftlich wachsenden Ländern der Welt, doch davon profitiert die Generation Z kaum: Laut Studien suchen etwa 18 Millionen junge Bangladescher Arbeit, besonders hoch ist die Zahl der Arbeitslosen unter Jungakademikern. Bangladesch ist einer der weltweit größten Produzenten von Kleidung, fast alle großen westlichen Textilfirmen lassen dort produzieren. Das Land verdient Milliarden am Export von Kleidern, die oft unter sozial prekären und gefährlichen Bedingungen hergestellt werden. Diese Industrie profitiert vor allem von Billigarbeit, die meist unterbezahlte Frauen verrichten.
Junge Bangladescher klagen seit Jahren über Korruption und fordern ein System, das auf Leistung beruht. Die neue Regelung verstärke die Ungleichheit und sei diskriminierend, protestieren sie und fordern den Rücktritt Hasinas. Die Regierungschefin argumentiert, dass die Veteranen „den größten Respekt für ihren Beitrag im Krieg gegen Pakistan verdienen“. Politisch braucht Hasina die Unterstützung dieser Gruppen. Die 76-Jährige hatte bei Wahlen im Jänner, die von den wichtigsten Oppositionsgruppen boykottiert worden waren, eine vierte Amtszeit in Folge gewonnen.
Die Proteste stellen die bisher größte Herausforderung für die Regierungschefin dar. Zumal am Sonntag die Studenten einen Etappensieg verbuchten: Der Oberste Gerichtshof hob die umstrittene Quotenregelung wieder auf. Demnach müssen nun 93 Prozent der staatlichen Arbeitsplätze ausschließlich nach dem Leistungsprinzip vergeben werden. Hasina reagierte vorerst nicht darauf.
Nachdem der Oberste Gerichtshof die Entscheidung der unteren Instanz kassiert
hatte, war es auf den Straßen in Dhaka am Sonntag ruhig. Vor dem Gerichtshof stand ein Panzer, wie auf Fernsehaufnahmen zu sehen war. Die Regierung lockerte die Ausgangssperre nur ein wenig, um der Bevölkerung Einkäufe zu ermöglichen.
Brutale politische Rivalität
Hasima wirft der oppositionellen Nationalist Party (BNP) vor, die Unruhen zu schüren und zu eigenen Zwecken zu missbrauchen. Die Opposition, die die Studenten unterstützt, weist dies strikt zurück. Vor der Wahl im Jänner waren führende BNP-Politiker inhaftiert worden. Zwischen Hasimas AwamiLiga und der konservativ-religiösen BNP unter der früheren Premierministerin Begum Khaleda Zia herrscht ein erbitterter Konkurrenzkampf, der weit über demokratiepolitische Rivalitäten hinausgeht.
Beobachter bezweifeln, dass mit dem Gerichtsspruch die Lage beruhigt wurde. Viele befürchten, dass durch den Streit über das Gesetz die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Die Studenten haben bereits weitere Proteste ankündigt. Man begrüße das Urteil, aber „die Regierung muss auf alle unsere Forderungen eingehen“, hieß es. Innenminister Asaduzzaman Khan sagte, die Ausgangssperre bleibe in Kraft, „bis die Lage sich stabilisiert“.