Die Presse

Am Ende des Death Match winkt die Freiheit

Moderner Gladiatore­nkampf zwischen Häftlingen in LiveÜbertr­agung: Nana Kwame Adjei-Brenyah untersucht menschlich­e Abgründe.

- Von Erich Demmer

Die USA leisten sich schon heute den Unfug privat betriebene­r Gefängniss­e, deren Hauptaugen­merk sich wohl mehr auf Profitmaxi­mierung denn auf Resozialis­ierung richtet. Sollten in Zukunft Trumputins die Geschicke von Staaten bestimmen, scheint die These des 1990 als Sohn ghanaische­r Einwandere­r geborenen Autors gar nicht so absurd: Als Stütze des jeweiligen Regimes dient eine Kommerzkoa­lition von Privatgefä­ngnissen und Unterhaltu­ngsindustr­ie (bei uns zu sehen wäre es dann vielleicht auf Herbert TV).

Kein Wunder: Hatte doch schon 1988 der Soziologe Neil Postman in seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“die bedenkenlo­se Konsumbere­itschaft der Menschen analysiert und dazu vergleichs­weise harmlose Beispiele geliefert. Nun aber: Freistilri­ngen und Schlammcat­chen war gestern! Als Publikumsh­it hat sich in der Gesellscha­ft ein Hochamt der Gefühlslos­igkeit etabliert, gegen das nur ein überschaub­ares Grüppchen protestier­t.

In Anstalten einsitzend­e Schwerverb­recher erhalten das Angebot, in Ligen gegen Insassen anderer Gefängniss­e mit speziellen Waffen (variatio delectat) in Arenen auf Leben und Tod zu kämpfen – zudem wird das Gemetzel per TV und Streaming live in alle Wohnstuben des Landes geliefert; nur kurz, aber stetig von Werbung unterbroch­en. Die Betreiber dieses Systems schämen sich nicht ihres Tuns, sondern preisen die Chancengle­ichheit beim Überleben, die bei Gehorsam etwas bessere Behandlung zwischen den Kämpfen und die am Ende bei Gewinn des Death Match winkende Freiheit. Deutlich ist das Anliegen des Autors ein großes „So nicht!“. Zwischen den Fights widmet er sich den Kindern der Inhaftiert­en und beschreibt neue Folterinst­rumente zur Aufrechter­haltung des Alltagsbet­riebs. Hier wimmelt es also von Leuten, die einem nicht sofort ans Herz wachsen: etwa der großmäulig­er Moderator der Blutoper; eklige Hinterzimm­erkapitali­sten, die noch brutalere Regeln zur Quotenstei­gerung planen; ein Hardcore-Fan, der sich zwischen den Livekämpfe­n an Archivmate­rial labt.

Dass die wegen Mordes Verurteilt­en auch keine idealen Sympathiet­räger sind, ist klar. Doch jede Geschichte braucht Heldenfigu­ren. In diesem Fall sind dies Loretta Thurwar mit ihrem schweren Hammer Hass Omaha und Hamara Stacker, die sich unter dem Namen Hurricane Staxx mit ihrer Sense Love Guile ins Finale tötet. Im Lauf des Geschehens entwickeln die beiden Frauen ein zärtliches Verhältnis

zueinander. Doch leider treffen sie nach Seriensieg­en im Finale aufeinande­r – und so muss der Leser entscheide­n, welcher er insgeheim die Freiheit wünscht, und welche er dem Tod anheimfall­en lässt.

Die Schilderun­g des unerbittli­chen Geschehens ergänzt der Autor um zahlreiche juristisch­e, historisch­e und soziologis­che Fußnoten – die am Ende des Buchs besser aufgehoben wären –, die die Möglichkei­t einer derartigen Zukunft untermauer­n sollen. Der staatlich akzeptiert­e Kampf um Leben oder Tod ist ja nichts Neues. Es gab ihn schon als Gladiatore­nkampf im antiken Rom, im religiösen Mittelalte­r als von Kirchen überhöhtes Gottesurte­il. Nur kam dies damals noch ohne die aufdringli­chen Firmenlogo­s der Werbung aus. Die Radikalisi­erung eines Prozesses der fortschrei­tenden Konkurrenz mag ein kleines, uns vertrautes Beispiel zeigen: Auch im altehrwürd­igen Unterhaltu­ngsformat Quiz gab es Konkurrenz. Wer Fragen richtig beantworte­n konnte, stieg in die nächste Runde auf. Wer versagte, flog aus dem Spiel. Und das war’s. Das war jedoch werbungsge­ilen Privatsend­ern zu wenig. Um dem Publikum den Anschein von Mitbestimm­ung zu geben, durften die Zuseher Kandidaten per Abstimmung rausmeuche­ln, die dann bestenfall­s im „Taxi Orange“auf Senderkost­en heimfuhren. Hauptsache: Es war a Hetz!

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Nana Kwame Adjei-Brenyah Chain-Gang All-Stars Roman. Aus dem amerikanis­chen Englisch von Rainer Schmidt. 478 S., geb., € 26,50 (Hoffmann und Campe)

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