„Ich bin frei“, sagt die flämische Kommunistin
Sie wuchs mit sechs Geschwistern auf und trennte sich von ihrem gewalttätigen Mann. Über die kommunistische Partei Belgiens spricht sie, als sei sie ihre Familie.
Belgien erlebt derzeit den Aufstieg einer ursprünglich maoistisch-stalinistischen, immer noch kommunistischen Partei. Die PTB/PVDA reüssierte zunächst in Brüssel und Wallonien, bei den Wahlen am 9. Juni auch schon in Flandern. Die Partei, die nun 15 der 150 Mandate im belgischen Parlament innehat, regiert in zwei Gemeinden mit. Eine davon ist Zelzate, ein Stahl-, Chemie- und Teerstädtchen an der niederländischen Grenze.
PVDA-Fahnen und Sticker an einigen Häusern. Auch an der Auslage eines Antiquitätengeschäfts, das in Wahrheit das Wohnzimmer einer allein lebenden Pensionistin ist. Ich läute. Ein Mann öffnet und holt die Frau des Hauses, die um halb elf noch im Morgenmantel ist. Irgendwann verschwindet der Mann grußlos. Die Frau des Hauses erzählt mir später, sie habe vier Jahre eine Affäre mit diesem „halben Holländer“gehabt, jetzt nerven sie seine dauernden Besuche: „Stellen Sie sich vor, er nimmt seine Katze an die Leine und geht mit ihr ins
Dolce Vita. Er war nicht immer so wie jetzt, er war schön.“
Die Flämin stammt von der französischen Grenze, sie waren sieben Geschwister. Sie wuchs bei einer Tante auf, die einen Laden führte und jeden Tag in die Kirche ging. Mit 14 hatte sie die Schule satt, putzte in einem Genter Spital, bei einer reichen Familie in Brügge, dann in verschiedenen Haushalten hier.
Nach Zelzate kam sie mit ihrem Mann, einem französischen Arbeiter, man sprach zu Hause Französisch. Ihr Vater war nicht begeistert von der Ehe mit einem Ausländer, „ein Wallone wäre okay gewesen“. Ihr Mann schlug sie, wenn er getrunken hatte. Als sie sich von ihm trennte, wollte er sie ins Auto ziehen, sie klammerte sich an der Türschnalle fest, er brach ihr bei helllichtem Tag und vor den Augen von Passanten die Nase. Sie rannte ins italienische Café von nebenan, die Italiener holten aber keine Hilfe, erst eine Cousine rief die Polizei. „Man konnte meinen Blutspuren nachgehen.“
Nach 18 Jahren war die Scheidung durch, danach begann sie sich für die PVDA zu engagieren: „Ich gehe seit den Achtzigerjahren von Tür zu Tür. Früher schlug man uns die Tür zu, heute nicht mehr.“Wie bei vielen war ihr erster Kontakt einer der „roten Ärzte“, der auch für die PVDA im Gemeinderat saß. Diese Ärzte arbeiten in Gruppenpraxen der Partei, „Medizin für das Volk“genannt, und behandeln jedermann gratis. 3000 der 13.300 Zelzater gehen angeblich zu den Gratisdoktoren, „aber die wählen nicht alle die PVDA“. Sie spricht mit großer Zuneigung von diesen Ärzten.
Auf Fragen über Leninismus, Trotzkismus, Maoismus will sie sich nicht einlassen, „wir sind marxistisch“. Über die Sowjetunion maßt sie sich kein Urteil an: „Ich war nur in Polen, mit einer Freundin, die einen Polen geheiratet hat, aber das war wohl nicht mehr kommunistisch.“Sie träumt von einer Reise nach Kuba und hat über ihre von dort stammende Pediküre „so viele Medikamente für Kuba gespendet, wie ich konnte“. Welche Regierungsform im Fall einer absoluten kommunistischen Mehrheit für Belgien
vorzuziehen wäre, das übersteigt ihre Fantasie. Es spricht sie an, dass die PTB/PVDA die einzige gesamtbelgische Partei ist. Für eine Republik brennt sie nicht, „ich mag die Prinzessin Elisabeth sehr gern“. Warum trägt sie am Handgelenk unter anderem ein Kettchen mit Kreuz? „Das habe ich auf der Straße gefunden“, wehrt sie ab und zeigt mir ein weniger auffälliges Palästinakettchen.
Die Partei „hat nicht nur ein gutes Programm, sie ist auch stark im Machen“. Die Flämin nennt die Senkung der Umsatzsteuer auf Energie von 21 auf sechs Prozent und die Einführung einer Mindestpension, „das kam durch unseren Druck zustande“. Da sie meist schwarz geputzt hatte, sprang ihre Pension auf einen Schlag „von 1200 auf 1500 Euro – dank der PVDA“. In Zelzate sei der Partei die Abschaffung der Parkgebühren zu verdanken: „Vorher war nur die erste Viertelstunde gratis, und alle haben sich furchtbar abgehetzt auf dem Hauptplatz. Wir waren es, die das gemacht haben.“
Sie lebt mit der Partei mit, als wäre die ihre erweiterte Familie. So geht sie immer aufs Parteifest ManiFiesta: „Das letzte Mal kamen 12.000 Menschen und als Stargast sogar Ahed Tamimi – das palästinensische Mädchen, das mehrmals in der Westbank einsaß, weil es mit seiner Faust einen israelischen Soldaten geschlagen hat.“Dass die liebenswürdige Kommunistin vom Spross einer im großen Stil Juden mordenden Terroristenfamilie spricht, weiß ich in dem Moment noch nicht. „Ich bin wirklich gegen Israel“, sagt sie, „die wollen erst aufhören, wenn alle tot sind, das ist aber zu spät.“Sie nahm an Demonstrationen in Gent und in Brüssel gegen Israels „Genozid“teil. Ich frage sie, was ihre Lösung wäre. Sie lächelt: „Eine Bombe draufhauen.“Über den Ukrainekrieg äußert sie sich gemäßigter. Dort ist sie „für Frieden, nicht für Putin“.
Ihre beiden Söhne und ihre zwei Enkel sind schon groß. Die Gewalt des Vaters gegen die Mutter wirkt nach, der jüngere Sohn hat nachts immer noch Alpträume, in denen er auf Französisch „Maman!“ruft. Heute geht es seiner Mama gut, sie ist aus gutem Grund Kommunistin. „Ich bin frei“, sagt sie, „es gibt keinen Chef über mir.“