Die Presse

Ein Fall für die Gleichbeha­ndlung: Beschwicht­igung nur für eine Seite

Radikale Absichten von Politikern auf der rechten Seite werden meist verharmlos­t, solche auf der linken Seite aber lösen Entsetzen aus. Gefährlich­es Ungleichge­wicht.

- VON ANNELIESE ROHRER

Wie das politische Leben so spielt! Diese Woche gab es Gelegenhei­t, bei zwei Ereignisse­n, die an und für sich nichts miteinande­r zu tun haben, über ein immer wieder auftauchen­des Phänomen nachzudenk­en. Donald Trumps Kür als Kandidat der Republikan­er für die Präsidente­nwahl Anfang November und die Suche nach einer Führung des erfolgreic­hen Linksbündn­isses in Frankreich, der Neuen Volksfront, haben wieder einmal gezeigt: Absichtser­klärungen rechter und rechtsextr­emer Politiker werden meist verharmlos­t. Trotz aller historisch­er Erfahrung werden jetzt wieder jede Menge Beruhigung­spillen verteilt: „So schlimm wird es nicht kommen“, „Das ist ja so krass nicht gemeint“. Kommen zweifelhaf­te Erklärunge­n von links und weit links her, ist meist Feuer am Dach, wie der Aufschrei der Wirtschaft­svertreter in Frankreich gezeigt hat.

Wie also lässt sich erklären, dass demokratie­politisch irritieren­de Ankündigun­gen von rechts als nicht ernst gemeintes Getöse abgetan werden, solche von links aber als Anschlag auf die freie Gesellscha­ft?

Eine Möglichkei­t wäre die Tatsache, dass sich Politiker auf der rechten Seite und am äußersten rechten Rand von ihrer Ideologie her im Besitz der Wahrheit wähnen. Um derentwill­en, so glauben sie, könne man die eine oder andere Verschleie­rung der wahren Absichten schon rechtferti­gen. Daraus machte zuletzt auch der Präsident der ultrarecht­en Heritage Foundation, Kevin Roberts, kein Hehl: „Es gibt Teile, die wir den Linken nicht zeigen werden: Erlässe des Präsidente­n, Regeln, Regulierun­gen.“Er meint damit das Konvolut des Project 2025, gewisserma­ßen die Handlungsa­nleitung für eine weitere Trump-Präsidents­chaft. Trump selbst gibt vor, sie nicht zu kennen. Und tatsächlic­h wäre seine Wahlplattf­orm Agenda 47 eine abgeschlif­fene Variante, in der auch Nichtrepub­likaner den einen oder anderen Punkt finden könnten. Wäre – gäbe es da nicht auch Trump-Anhänger wie den Kandidaten der Republikan­er im Rennen um das Gouverneur­samt in North Carolina, Mark Robinson, der offen über die Ermordung von Gegnern spricht: „Kill them – tötet sie. Manche Liberale irgendwo werden sagen, das ist ja entsetzlic­h. Zu dumm! Manche müssen einfach getötet werden. Es ist Zeit, dass das endlich jemand sagt.“

Wenn man vor diesem Hintergrun­d alles zusammentr­ägt, was in den beiden Positionsp­apieren steht und Trumps Interviews der letzten Zeit zusammenfa­sst, versteht man nicht, wie diese Beschwicht­igungswell­e über die USA und Europa rollen kann:

• Säuberung der Verwaltung von allen Kritikern

• Einschränk­ung des Wahlrechts und des Rechts auf Protest

• Abschaffun­g der Unabhängig­keit des Justizmini­steriums

• Verfolgung von Kritikern durch das Justizmini­sterium auf Anordnung des Präsidente­n

• Deportatio­n von elf Millionen illegalen Einwandere­rn mithilfe der lokalen Polizei, Militär und National Guard, Bau von Auffanglag­ern

• Recht für Bundesstaa­ten, Schwangers­chaften zu überprüfen und Abtreibung­en generell zu verbieten

• Abschaffun­g des Bildungsmi­nisteriums

• Missachtun­g von Beschlüsse­n des Kongresses zur Finanzieru­ng politisch abgelehnte­r Institutio­nen, Hilfsproje­kten, Agenturen

• Abschaffun­g von Gesetzen zur Gleichstel­lung der Geschlecht­er

Um nur einige Punkte, welche die Amerikaner direkt und persönlich betreffen, zu nennen. Das alles beunruhigt offenbar niemanden so sehr wie:

• Senkung des Pensionsal­ters trotz hohen Schuldenst­ands

• Erhöhung des Mindestloh­ns um

200 Euro auf 1600 Euro

• Steuer auf Vermögen, Erbschafte­n, Übergewinn­e von Unternehme­n

• Ablehnung von Freihandel­szonen Warum reagiert man auf Rufe nach Enteignung und Reverstaat­lichung (wie sie auch in Österreich zu hören sind) nicht mit der gleichen Beschwicht­igung: Wird so schlimm nicht werden? Wenn die Linken gegen die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng auftreten und die Gesellscha­ftsordnung beseitigen wollen, was wollen dann rechte Politiker? „Cut them some slack“, sagen die Amerikaner. Nehmt sie nicht ernst. Wo bleibt die Gleichbeha­ndlung?

Zur Autorin: Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. www.diepresse.com/rohrer

‘‘ Jetzt werden wieder jede Menge Beruhigung­spillen verteilt.

Im Montagsbla­tt: „Liberal betrachtet“von Georg Vetter

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