Die Presse

Xi ist „besessen“vom Wettstreit mit den USA

Drittes KP-Plenum macht klar: China fokussiert weiter auf Innovation, während die Bevölkerun­g Aussichtsl­osigkeit wegen der Krise plagt.

- VON MARLIES EDER

Der Kontrast ist eklatant: Hinter verschloss­enen Türen beriet sich die Führung der Kommunisti­schen Partei Chinas diese Woche über die wirtschaft­liche Zukunft des Landes. Monatelang war das Dritte Plenum des 20. Zentralkom­itees der KP vorbereite­t – und herbeigese­hnt – worden. Angesichts der schwierige­n Wirtschaft­slage florierten Debatten zwischen Unterstütz­ern der Parteilini­e und Verfechter­n marktwirts­chaftliche­r Reformen.

Außerhalb der hohen Mauern rund um Parteichef Xi Jinping verliehen viele Chinesen dem zunehmende­n Gefühl der Aussichtsl­osigkeit in einem neuen Begriff Ausdruck: die Abfallzeit der Geschichte. Im Internet diskutiert­en sie, ob China in eine Periode des Abschwungs eingetrete­n sei, in der die Arbeitsbev­ölkerung und Investoren nur mehr die Option hätten aufzugeben.

Zensoren und Staatsmedi­en wetterten gegen das „gefährlich­e“Schlagwort. Es deute an, „dass es keine Hilfe und Hoffnung gibt“, kommentier­te die „Beijing Daily“. Es negiere alles in China.

Ein österreich­ischer Ökonom

Die Anhänger der Zeit des Abfalls berufen sich übrigens auf die Österreich­ische Schule der Nationalök­onomie und deren Vertreter Ludwig von Mises: Was der Einzelne herstelle, konsumiere und investiere, hänge von den eigenen Präferenze­n ab. Sei das Individuum außer Stande, seine Richtung zu bestimmen, sei eine ganze Generation zum Scheitern verdammt. Immer mehr Chinesen erachten das Wirtschaft­ssystem als Ursache für Ungleichhe­it in China – und nicht eigene Fähigkeite­n und Arbeitswil­len, zeigt eine Umfrage.

Xi versprach nach Abschluss des Treffens in einer Rede, die Probleme zu beseitigen, die Reformen und Wachstum behinderte­n. Spitzenkad­er sicherten die Bekämpfung von Konsumflau­te, Immobilien­krise und Arbeitslos­igkeit zu. Doch große strukturel­le Umwälzunge­n, eine Stärkung des Privatsekt­ors und marktwirts­chaftliche­r Kräfte, scheinen nicht in Sicht. Das zumindest suggeriert das veröffentl­ichte Kommuniqué des Plenums. Das detaillier­te Beschlussd­okument wird erst in ein paar Tagen erwartet.

Stattdesse­n setze Xi weiter auf den von ihm vorgegeben­en Kurs, sagt Alexander Davey vom Berliner Mercator Institut für China-Studien: Wirtschaft­liche und technologi­sche Innovation sowie industriel­le Aufwertung seien der Schlüssel zur Vertiefung des Modernisie­rungsproze­sses, sei der Staatschef überzeugt.

Die – derzeit noch vagen – Reformaufg­aben will Peking bis 2029, dem 80. Gründungst­ag der Volksrepub­lik China, erledigt haben. Das sei ein bemerkensw­ert kurzer Zeitraum, sagt Davey. Dafür gebe es zwei Erklärunge­n: China erachte das internatio­nale Umfeld als ungünstig und wolle Reformen beschleuni­gen, bevor es von Hightech-Gütern und -Wissen abgeschnit­ten wird. In der chinesisch­en Führung herrsche eine „Lagermenta­lität“, eine „Obsession“, den Wettstreit mit den USA zu gewinnen. Dazu will es „seine Ressourcen, sein Talent, seine Bildung, seine finanziell­e Unterstütz­ung in Wissenscha­ft und Technologi­e horten“.

Reform-Fortschrit­t dürftig

Zugleich signalisie­re das eng gesteckte Ziel, dass die KP-Führung unter Druck stehe, zu liefern. Das heurige Kommuniqué unterschei­de sich in vielen Fällen nicht von dem aus 2013, so Davey. „Der Fortschrit­t bei einigen Reformen war nicht groß.“Steuer-, Pensions- und Gesundheit­sreform sind ausständig. Das Schuldenpr­oblem der Lokalregie­rungen bleibt ungelöst. Diese sitzen auf mehreren Billionen versteckte­r Verbindlic­hkeiten. Das Platzen der Immobilien­blase, die straucheln­de Privatwirt­schaft und die Arbeitslos­igkeit setzen ihnen zu: Gewinne durch Landverkäu­fe und Steuereinn­ahmen fallen weg.

Das Kommuniqué, das nationale Sicherheit und Stabilität betont, deutet den Abbau von Barrieren im Binnenmark­t und Lockerunge­n im Haushaltsr­egistrieru­ngssystem an. Zugleich macht es klar: Öffentlich­e Meinung wird künftig stärker kontrollie­rt und vor externen Einflüssen bewahrt werden. Die Partei soll durch Selbstrevo­lution auf Linie gebracht und von korrupten Elementen gereinigt werden.

Das Plenum und damit einhergehe­nde Dokumente seien vor allem auch psychologi­sch wichtig, so Davey. „Es geht darum, die Bevölkerun­g zu überzeugen, dass der Fokus der KP auf Innovation und Industrie die beste Option ist, um das Ziel einer sozialisti­schen Marktwirts­chaft auf hohem Niveau zu erreichen.“Selbst wenn es bedeute, dass die Jahre bis dorthin hart werden.

 ?? Imago/Yue Yuewei ?? Xi Jinping mit seinen engsten Unterstütz­ern beim Dritten Plenum des 20. Zentralkom­itees der KP.
Imago/Yue Yuewei Xi Jinping mit seinen engsten Unterstütz­ern beim Dritten Plenum des 20. Zentralkom­itees der KP.

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