Die Presse

Das Attentat auf Donald Trump ist ein Gamechange­r

Der Anschlag verändert die Dynamik des Wahlkampfs nochmals schlagarti­g. Für Joe Biden eröffnet sich die Chance für geordneten Rückzug.

- VON THOMAS VIEREGGE E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

Das Bild ist ikonisch, und es suggeriert die Unbesiegba­rkeit Donald Trumps, der imstande ist, alle Hürden zu überwinden und sogar Attentate zu überstehen. Wie er sich nach dem schändlich­en Anschlag instinktiv unter das Podium duckt, um umringt von Secret-Service-Agenten, mit Blutspuren im Gesicht, geballter Faust und der Parole „Fight! Fight! Fight!“wie ein Phönix aus der Asche aufzustehe­n, wird nicht nur bei seinen Anhängern den Mythos des Märtyrers und Gewinners nähren.

Hat sich der Ex-Präsident nicht immer selbst zum Opfer einer „Hexenjagd“seiner politische­n Gegner stilisiert? Nun sehen sich Trump und seine Fans vollends darin bestätigt. Dass mutmaßlich ein junger Republikan­er den Anschlag ausgeführt hat, ist für sie bloß Teil einer Verschwöru­ng.

Das Attentat auf Donald Trump bei einem Auftritt im Swing State Pennsylvan­ia markiert nach der desaströse­n Performanc­e Joe Bidens im TV-Duell einen Wende- und zugleich einen Tiefpunkt im US-Wahlkampf. Unmittelba­r vor dem republikav­erfechter, nischen Parteikonv­ent in Milwaukee in der kommenden Woche, bei dem sich der Ex-Präsident mit großer Geste als politische­r Märtyrer präsentier­en wird, verändert es die Dynamik noch einmal schlagarti­g: da der vitale Herausford­erer, dort der fragile und greise Amtsinhabe­r.

Trump wachsen nun die Sympathien auch unabhängig­er Wähler zu. Es vermittelt sich der Eindruck der Unvermeidl­ichkeit eines Wahlerfolg­s Trumps. Unter den gegebenen Umständen dürfte ihm ein Sieg gegen Biden kaum zu nehmen sein. Die Unterstütz­ungserklär­ung durch Elon Musk zeigt, wohin der Wind sich dreht.

Der politisch angeschlag­ene Präsident reagierte prompt: Biden verurteilt­e den Akt der politische­n Gewalt, er telefonier­te mit dem leicht verletzten Rivalen und legte eine Wahlkampfp­ause ein. Es ist Zeit, innezuhalt­en. Es wäre an Donald Trump als Opfer einer Waffengewa­lt, die jährlich das Leben von mehr als 30.000 US-Amerikaner­n fordert, für ein schärferes Waffenrech­t zu plädieren. Die Hoffnung ist freilich vergeblich. Die fanatische­n Waffenzume­ist Mitglieder der Waffenlobb­y NRA, sind der harte Kern seiner Anhängersc­haft.

Trump selbst hat mit der Rhetorik von der „gestohlene­n“Wahl, der Verhöhnung und Denunzieru­ng seiner Gegner, mit der Beschwörun­g eines möglichen „Bürgerkrie­gs“und eines „Blutbads“das politische Klima aufgeheizt und vergiftet. Er hat den Ton gesetzt, und Biden hat es nicht geschafft, sich souverän darüber hinwegzuse­tzen. Spätestens seit dem Attentat ist klar, dass er der falsche Kandidat gegen Donald Trump ist, der eine Naturgewal­t ist und Urkraft ausstrahlt.

Wann, wenn nicht jetzt eröffnet sich für Joe Biden die Chance für den geordneten Rückzug und einen Abgang in Würde? Am besten während der „Krönungsme­sse“Trumps in Milwaukee, wo er ihm die Show stehlen könnte. Die Demokraten stehen vor der Wahl: ein Untergang mit Biden oder zumindest eine Chance, mit einer Alternativ­e ins Rennen zu gehen. Ein Gamechange­r, um es im Sportjargo­n zu formuliere­n, ist vonnöten.

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