Wirklich keine Ahnung vom Wolfsgruß?
Der türkische Nationalspieler Merih Demiral gab sich unbedarft. Zum Mythos hinter der Geste – und warum der Wolf so oft der Böse ist.
Es sei doch nur eine Jubelgeste gewesen, meinte der türkische Nationalspieler Merih Demiral nach dem EM-Achtelfinale. Doch wer würde glauben, dass die Geste, die er nach seinem zweiten Treffer am Dienstagabend mit beiden Händen formte, nur ein mimisches „Hurra“wäre? Es ist der sogenannte Wolfsgruß, den Demiral da zeigte – und er wurde Abermillionen Menschen in die Wohnzimmer gespielt. Der Fußballer selbst gab sich bei einem Interview nach Mitternacht unbedarft. Er habe nur seine Landsleute grüßen wollen, die Geste bei anderen im Stadion gesehen. Es stecke „keine versteckte Botschaft“dahinter. Aber er sei „sehr stolz darauf, ein Türke zu sein“, und das habe er „auch gezeigt“.
In Österreich verboten
Nun, er hat er mehr gezeigt. Der Wolfsgruß ist das Zeichen der türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe und damit politisch stark punziert. Er steht für Verfolgung von Minderheiten, brutale Unterdrückung und extremen Nationalismus. Und er stellt eine Symbiose von Nationalismus und Islam dar. Die in der Türkei mitregierende, ultranationalistische Partei MHP stützt sich auf den Gruß. In Europa sieht man ihn immer wieder bei Veranstaltungen und Demonstrationen: Zeigefinger und kleiner Finger sind nach oben gestreckt, sie bilden die Ohren des Wolfs. Die anderen Finger zusammengepresst, sie symbolisieren den Kopf, das Maul.
In Österreich ist das Zeichen der Grauen Wölfe seit 2019 verboten. Was die Geste im Rahmen des Spiels der Türkei gegen Österreich umso unangenehmer macht. In Deutschland, wo das Spiel ja stattfand, gab es bisher nur Diskussionen über ein Verbot der Bewegung und ihrer Symbolik. Die Grauen Wölfe werden aber vom Verfassungsschutz beobachtet. Man geht davon aus, dass sie mit über 12.000 Mitgliedern die größte rechtsextreme Bewegung im Land ist. Die Grauen Wölfe treten für eine „reinrassige Türkei“ein. Sie sind gegenüber Kurden, Juden, Armeniern und anderen Gruppen feindlich eingestellt. Und gewaltbereit, wie sich immer wieder gezeigt hat. Die Geste dient der Zugehörigkeit über Ländergrenzen hinweg.
Der Wolf rettete die Türken
Für die extreme Rechte in der Türkei hat der Wolf eine besondere Bedeutung: als Symbol der (reinen) Abstammung und als Symbol der
Macht und Stärke. Die Mythen dahinter lassen sich auf eine Grundformel zusammenfassen: Der Wolf ist der Retter vor Feinden von außen. In den türkischen Gründungserzählungen finden sich mehrere Bezüge, die auch der deutsche Bundesverfassungsschutz auflistet. Etwa den Ergenekon-Mythos: Hier hat ein Wolf die bedrängten Vorfahren des türkischen Volkes aus ihrem Zufluchtsort im Tal Ergenekon herausgeführt, so konnten sie zu neuer Macht gelangen. Oder die Asena-Legende: Hier wird der Stammvater der Gök-Türken von der Wölfin Asena gerettet.
Dass der Wolf als Symbol für aggressive, nationalistische Politik herhalten muss, ist übrigens nichts Neues. Die furchtsame oder bewundernde Überhöhung gab es auch schon lang vor der Konnotation mit dem „großen, bösen Wolf“in Märchen. Schon in den ersten Hirtenkulturen wurde der er zum spirituell-politischen Symbol. Damit verbunden ist auch der Werwolf-Mythos, der als Rechtfertigung eines Verhaltens diente, bei dem gesellschaftliche Regeln nicht mehr galten. Wie Wolfsforscher Kurt Kotrschal beschreibt, waren (Wer-)Wolfskrieger in der Folge weitverbreitet – bei den Turk-Völkern, bei den germanischen Stämmen, in antiken Heeren und noch bei den Römern. Die natürlich auch ihren Wolfsmythos haben: Das Säugen von Romulus und Remus durch Mamma Lupa. Aber auch Dschingis Khan soll sich in puncto Kriegsstrategie auf den Wolf berufen haben. Dass das Tier zum Symbol für das Böse und den Tod wurde, ist mit dem Dreißigjährigen Krieg verbunden. Denn die Wölfe sollen auch die Toten auf dem Schlachtfeld gefressen haben. Und daraufhin setzte man sich das Ziel, sie auszurotten.
Adolf und die Wolfsschanze
Hierzulande kennt man den Wolfskult der Nazis. Hitler hatte den Namen „Wolfsschanze“für sein ostpreußisches Hauptquartier selbst gewählt. Ihm gefiel wohl auch die Deutung seines Vornamens als Kurzform von „Adawolf“, althochdeutsch für „edler Wolf“. Werwölfe standen bei den Nazis hoch im Kurs.
Auch deshalb wird der Wolf seinen schlechten Ruf wohl nicht mehr los. Heute sprechen wir von einem „einsamen Wolf“, wenn wir einen Terroristen meinen, der allein handelt. Und Merih Demiral? Er muss sich jetzt wohl einige Fragen gefallen lassen. Ob es Konsequenzen von der Uefa gibt, ist offen. Eine Untersuchung wurde eingeleitet.