Eine Portion Fleischscham zum Feierabend
Nach Kondomen und Fertigpizza – die Verlegenheit an der Supermarktkassa hat ein Revival.
Es ist eine wiederkehrende Zäsur zwischen Arbeit und Feierabend: das Anstellen zur Rushhour an der Supermarktkassa. Ich habe es längst aufgegeben, die strategisch günstigere Schlange auszumachen (klappt sowieso nie), und bin zumeist damit ausgelastet, den Einkauf mit beiden Armen zu jonglieren (eigentlich wollte ich doch nur zwei, drei fehlende Zutaten fürs Abendessen holen). Das Handy als Zeitvertreib fällt also flach, und ich übe mich in Geduld.
Früher oder später schweift der Blick über die Einkäufe der anderen, wenn sie piepsend über den Scanner geschoben werden. Und, zugegeben, manchmal ziehe ich von den Produkten auf dem Förderband Rückschlüsse auf die Leben und Pläne dahinter. Nicht verwunderlich, dass sich in diese Momente neuerdings ein unangenehmes Gefühl mischt, das dann aufkommt, wenn ich meine eigenen Einkäufe mustere: das Rindsfaschierte (bio!), den Schinken (regional!) und die Dose Thunfisch (die kann ich mir nicht schönreden).
Gibt es analog zur Flugscham schon den Begriff der Fleischscham? Vermutlich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde das neue Gefühl nicht einmal unangebracht. Sich CO2intensiver Lebensstilentscheidungen bewusst zu werden, geht der Verhaltensänderung voraus. Mitschuld an meiner Fleischscham ist aber – so viel möchte ich zumindest an dieser Stelle festhalten – das Kind. Der Teenie frönt seit Kindergartentagen einer Art Steinzeiternährung (Rohkost, keine Milchprodukte und, ja, erraten: viel Fleisch) und sieht angesichts der mit Autos verstopften Stadt nicht ein, die Klimakrise auch noch auf dem eigenen Teller auszutragen. Seit Kurzem liebäugle ich halbherzig mit der Taktik früherer Elterngenerationen: Gegessen wird, was ich koche. Oder ich wälze Fragen wie: Ist es moralisch verwerflich, dem Kind statt Rindfleisch-Faschiertem die vegane Variante unterzujubeln? Die Antworten fallen leider wenig zufriedenstellend aus. Immerhin, die Wartezeit an der Kassa vergeht seither wie im Flug.