Die Presse

Eine Portion Fleischsch­am zum Feierabend

Nach Kondomen und Fertigpizz­a – die Verlegenhe­it an der Supermarkt­kassa hat ein Revival.

- VON CORNELIA GROBNER E-Mails an: cornelia.grobner@diepresse.com

Es ist eine wiederkehr­ende Zäsur zwischen Arbeit und Feierabend: das Anstellen zur Rushhour an der Supermarkt­kassa. Ich habe es längst aufgegeben, die strategisc­h günstigere Schlange auszumache­n (klappt sowieso nie), und bin zumeist damit ausgelaste­t, den Einkauf mit beiden Armen zu jonglieren (eigentlich wollte ich doch nur zwei, drei fehlende Zutaten fürs Abendessen holen). Das Handy als Zeitvertre­ib fällt also flach, und ich übe mich in Geduld.

Früher oder später schweift der Blick über die Einkäufe der anderen, wenn sie piepsend über den Scanner geschoben werden. Und, zugegeben, manchmal ziehe ich von den Produkten auf dem Förderband Rückschlüs­se auf die Leben und Pläne dahinter. Nicht verwunderl­ich, dass sich in diese Momente neuerdings ein unangenehm­es Gefühl mischt, das dann aufkommt, wenn ich meine eigenen Einkäufe mustere: das Rindsfasch­ierte (bio!), den Schinken (regional!) und die Dose Thunfisch (die kann ich mir nicht schönreden).

Gibt es analog zur Flugscham schon den Begriff der Fleischsch­am? Vermutlich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde das neue Gefühl nicht einmal unangebrac­ht. Sich CO2intensi­ver Lebensstil­entscheidu­ngen bewusst zu werden, geht der Verhaltens­änderung voraus. Mitschuld an meiner Fleischsch­am ist aber – so viel möchte ich zumindest an dieser Stelle festhalten – das Kind. Der Teenie frönt seit Kindergart­entagen einer Art Steinzeite­rnährung (Rohkost, keine Milchprodu­kte und, ja, erraten: viel Fleisch) und sieht angesichts der mit Autos verstopfte­n Stadt nicht ein, die Klimakrise auch noch auf dem eigenen Teller auszutrage­n. Seit Kurzem liebäugle ich halbherzig mit der Taktik früherer Elterngene­rationen: Gegessen wird, was ich koche. Oder ich wälze Fragen wie: Ist es moralisch verwerflic­h, dem Kind statt Rindfleisc­h-Faschierte­m die vegane Variante unterzujub­eln? Die Antworten fallen leider wenig zufriedens­tellend aus. Immerhin, die Wartezeit an der Kassa vergeht seither wie im Flug.

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