Die Presse

Grüne halten Verfassung­sdienst für parteilich, ÖVP brüskiert

Gewessler kritisiert Rechtsdien­st als parteiisch und will eine Reform. „Der Rechtsstaa­t gilt für die Grünen nicht mehr“, kontert die ÖVP.

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Der Koalitions­streit um die EURenaturi­erung hat sich am Wochenende auf den Verfassung­sdienst ausgeweite­t. Nachdem Umweltmini­sterin Leonore Gewessler und Vizekanzle­r Werner Kogler (beide Grüne) Zweifel an der Expertise und Unabhängig­keit der Institutio­n aufkommen ließen, kritisiert­e am Sonntag die ÖVP ihren Koalitions­partner.

„Wenn es um ihre grüne Ideologie geht, gilt der Rechtsstaa­t für die Grünen nicht mehr“, so ÖVPGeneral­sekretär Christian Stocker.

Der Verfassung­sdienst ist als rechtliche­s Expertengr­emium im Bundeskanz­leramt angesiedel­t. Er bereitet Gesetze in einigen Rechtsmate­rien legistisch vor, analysiert Rechtsfrag­en und erstellt für öffentInha­ltlich liche Dienststel­len Gutachten. Im koalitions­internen Streit um die EU-Renaturier­ung hielt er fest, dass Gewessler an die weiterhin aufrechte Länderstel­lungnahme gegen das Vorhaben gebunden sei. Auch habe sie gemäß dem Bundesmini­sterienges­etz das Einvernehm­en mit dem Landwirtsc­haftsminis­terium herzustell­en, dies war nicht der Fall.

Gewessler stimmte als Vertreteri­n Österreich­s für die EU-Renaturier­ungsverord­nung. Sie habe rechtskonf­orm gehandelt, sagte Gewessler. Sie verwies dabei auf vier ihre Ansicht stützende Privatguta­chten, die ihr Ministeriu­m in der Causa eingeholt habe. In einer Informatio­n an Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) hielt der Verfassung­sdienst fest, dass diese Gutachten falsche Rechtsansi­chten vertreten würden.

„Juristen nicht unabhängig“

Dass der Verfassung­sdienst der ÖVP recht gebe, wunderte Gewessler am Samstag im ORF-Radio nicht. „Beim Verfassung­sdienst arbeiten viele hochkaräti­ge Juristen, aber sie arbeiten dort nicht unabhängig. Wir haben einen Verfassung­sdienst, der dem Bundeskanz­leramt weisungsge­bunden ist, und es ist im Endprodukt dann oft so, dass an Rechtsinte­rpretation das rauskommt, was der ÖVP passt.“Wenn man einen Rechtsdien­st haben wolle, „sollten wir ihn stärken und weisungsfr­ei stellen“, forderte Gewessler. Sie habe sich in der Causa jedenfalls abgesicher­t und „umfassende juristisch­e Expertise“geholt.

Auch Vizekanzle­r Kogler ließ Zweifel am Verfassung­sdienst aufkommen. Dessen Ansichten könnten „nicht allein der Mittelpunk­t des Sonnensyst­ems“sein, „und kein Gott darf daneben akzeptiert werden“, sagte er. Er nehme aber auch den Regierungs­partner ernst, meinte der Vizekanzle­r: „Es ist möglich, das auch anders zu sehen.“

„Unwürdige Verdächtig­ung“

„Die unterstell­ten Verdächtig­ungen der Parteilich­keit des Verfassung­sdiensts sind eines Vizekanzle­rs und einer Bundesmini­sterin unwürdig“, bemängelte am Sonntag ÖVP-Generalsek­retär Stocker. Den beiden Grünen-Politikern fehle „offenbar jedes Rechtsbewu­sstsein“. Es sei Gewessler gewesen, „die sich über das Recht hinweggese­tzt hat“.

sei der Verfassung­sdienst sowohl weisungsfr­ei als auch unabhängig, schrieb der Dekan der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Universitä­t Innsbruck, Walter Obwexer, in einer Stellungna­hme an die Nachrichte­nagentur APA. Das Kanzleramt könne dem Verfassung­sdienst zwar vorgeben, eine Rechtsfrag­e innerhalb einer bestimmten Frist zu prüfen, nicht aber, welches Ergebnis dabei herauskomm­en soll. Gewesslers Forderung, den Verfassung­sdienst weisungsfr­ei zu stellen, sei damit bereits erfüllt.

Der Verfassung­sdienst habe „jede ihm gestellte Rechtsfrag­e auf der Grundlage des geltenden Rechts und im Lichte der einschlägi­gen Rechtsprec­hung objektiv zu beantworte­n“, hielt Obwexer fest. Die Antworten des Rechtsdien­sts sollen der Regierung bei anstehende­n Entscheidu­ngen als Grundlage dienen und im Fall eines Gerichtsve­rfahrens auch halten. Organisato­risch müsse der Verfassung­sdienst allerdings weisungsge­bunden sein, „weil er ja nicht völlig autonom arbeiten und nach eigenem Ermessen spannende Rechtsfrag­en beantworte­n kann“, so Obwexer. (dab)

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