Die Presse

Licht und Schatten der Justizrefo­rm

Die Reform zur Handy-Sicherstel­lung könnte Strafverfa­hren beschleuni­gen, strukturel­le Defizite bleiben jedoch.

- VON DANIEL BISCHOF E-Mails an: daniel.bischof@diepresse.com

Im Koalitions­krach um die Renaturier­ung ist die Justizrefo­rm von ÖVP und Grünen untergegan­gen. Dabei handelt es sich um eine, wenn nicht die letzte, große Reform der Bundesregi­erung. Nach jahrelange­m Streit wird die Sicherstel­lung von Datenträge­rn neu geregelt, Großverfah­ren sollen beschleuni­gt werden. Justizmini­sterin Alma Zadić sprach gar von der „größten Justizrefo­rm der vergangene­n 20 Jahre“.

Dass technische Entwicklun­gen in der Strafproze­ssordnung Niederschl­ag finden, ist erfreulich. Auf Handys und anderen Datenträge­rn finden sich heutzutage viel mehr Informatio­nen als früher. Warum also bisher nur eine Hausdurchs­uchung vorab gerichtlic­h genehmigt werden muss, nicht aber eine Handy-Sicherstel­lung, ist schleierha­ft.

Künftig braucht es nicht nur die richterlic­he Genehmigun­g. Die Staatsanwä­lte müssen auch auflisten, welche Daten sie auslesen wollen und welcher Zeitraum umfasst sein soll. Daher muss im Vorhinein der Sicherstel­lung genauer überlegt werden, wonach gesucht wird und wo sich die

Beweise befinden könnten. Möglicherw­eise führt das zu strukturie­rten Ermittlung­en. Anwälte und Strafrecht­ler kritisiere­n ja nicht ganz zu Unrecht, dass manche Staatsanwä­lte dazu neigen, ohne Fokus auf den Anfangsver­dacht jedes erdenklich­e Beweismitt­el sicherzust­ellen und auf Zufallsfun­de zu hoffen. Mit dem Ergebnis, jahrelang unüberscha­ubare Datenmenge­n auswerten zu müssen.

Ebenso positive Aspekte der Reform sind weitere Verbesseru­ngen der Beschuldig­tenrechte wie das geplante subjektive Recht auf Trennung von Ermittlung­sverfahren. Dadurch sollen Großverfah­ren nicht in unzählige Stränge ausbrechen. Als Problem könnte sich hingegen erweisen, die Datenaufbe­reitung bei der Sicherstel­lung der Kriminalpo­lizei zu überantwor­ten. Aus Beamtenkre­isen ist zu hören, dass sich das personell nicht werde bewerkstel­ligen lassen.

Außerdem wird es oft einige Zeit dauern, bis die Ermittler die Datenträge­r sicherstel­len können.

Und heutzutage verwendet jeder schlaue Kriminelle Nachrichte­n, die sich innerhalb weniger

Stunden oder Sekunden unwiederbr­inglich selbst löschen. Um solche Beweismitt­el sicherzust­ellen, müssten die Behörden bei Chats in Echtzeit mitlesen können. Bisher sind ihnen hier aber weitgehend die Hände gebunden.

Ebenso weist die Kontrolle durch die Haft- und Rechtsschu­tzrichter bisher Schwächen auf. In der Praxis bewilligen diese fast jede Anordnung der Staatsanwa­ltschaft. Im Jahr 2020 wurden 5122 Razzien bewilligt und 44 Anordnunge­n abgelehnt. Was auch daran liegen könnte, dass die Richter Ablehnunge­n schriftlic­h begründen müssen, während für Bewilligun­gen ein Stempelabd­ruck mit Unterschri­ft reicht. Daran rüttelt die Reform nicht.

Über das und weitere Details wie den Umgang mit Zufallsfun­den könnte diskutiert werden. Doch ist die „größte Justizrefo­rm der vergangene­n 20 Jahre“nur zwei Wochen bis 1. Juli in Begutachtu­ng. Wenige Tage danach soll sie beschlosse­n werden. Wie Türkis-Grün in dieser Zeit die Anregungen der Fachleute sinnvoll einarbeite­n will, ist rätselhaft.

Newspapers in German

Newspapers from Austria