Licht und Schatten der Justizreform
Die Reform zur Handy-Sicherstellung könnte Strafverfahren beschleunigen, strukturelle Defizite bleiben jedoch.
Im Koalitionskrach um die Renaturierung ist die Justizreform von ÖVP und Grünen untergegangen. Dabei handelt es sich um eine, wenn nicht die letzte, große Reform der Bundesregierung. Nach jahrelangem Streit wird die Sicherstellung von Datenträgern neu geregelt, Großverfahren sollen beschleunigt werden. Justizministerin Alma Zadić sprach gar von der „größten Justizreform der vergangenen 20 Jahre“.
Dass technische Entwicklungen in der Strafprozessordnung Niederschlag finden, ist erfreulich. Auf Handys und anderen Datenträgern finden sich heutzutage viel mehr Informationen als früher. Warum also bisher nur eine Hausdurchsuchung vorab gerichtlich genehmigt werden muss, nicht aber eine Handy-Sicherstellung, ist schleierhaft.
Künftig braucht es nicht nur die richterliche Genehmigung. Die Staatsanwälte müssen auch auflisten, welche Daten sie auslesen wollen und welcher Zeitraum umfasst sein soll. Daher muss im Vorhinein der Sicherstellung genauer überlegt werden, wonach gesucht wird und wo sich die
Beweise befinden könnten. Möglicherweise führt das zu strukturierten Ermittlungen. Anwälte und Strafrechtler kritisieren ja nicht ganz zu Unrecht, dass manche Staatsanwälte dazu neigen, ohne Fokus auf den Anfangsverdacht jedes erdenkliche Beweismittel sicherzustellen und auf Zufallsfunde zu hoffen. Mit dem Ergebnis, jahrelang unüberschaubare Datenmengen auswerten zu müssen.
Ebenso positive Aspekte der Reform sind weitere Verbesserungen der Beschuldigtenrechte wie das geplante subjektive Recht auf Trennung von Ermittlungsverfahren. Dadurch sollen Großverfahren nicht in unzählige Stränge ausbrechen. Als Problem könnte sich hingegen erweisen, die Datenaufbereitung bei der Sicherstellung der Kriminalpolizei zu überantworten. Aus Beamtenkreisen ist zu hören, dass sich das personell nicht werde bewerkstelligen lassen.
Außerdem wird es oft einige Zeit dauern, bis die Ermittler die Datenträger sicherstellen können.
Und heutzutage verwendet jeder schlaue Kriminelle Nachrichten, die sich innerhalb weniger
Stunden oder Sekunden unwiederbringlich selbst löschen. Um solche Beweismittel sicherzustellen, müssten die Behörden bei Chats in Echtzeit mitlesen können. Bisher sind ihnen hier aber weitgehend die Hände gebunden.
Ebenso weist die Kontrolle durch die Haft- und Rechtsschutzrichter bisher Schwächen auf. In der Praxis bewilligen diese fast jede Anordnung der Staatsanwaltschaft. Im Jahr 2020 wurden 5122 Razzien bewilligt und 44 Anordnungen abgelehnt. Was auch daran liegen könnte, dass die Richter Ablehnungen schriftlich begründen müssen, während für Bewilligungen ein Stempelabdruck mit Unterschrift reicht. Daran rüttelt die Reform nicht.
Über das und weitere Details wie den Umgang mit Zufallsfunden könnte diskutiert werden. Doch ist die „größte Justizreform der vergangenen 20 Jahre“nur zwei Wochen bis 1. Juli in Begutachtung. Wenige Tage danach soll sie beschlossen werden. Wie Türkis-Grün in dieser Zeit die Anregungen der Fachleute sinnvoll einarbeiten will, ist rätselhaft.