Die Presse

Georgien, Rumänien und Co.: Das Spektakel der Ost-Teams

Favoritens­chreck. Die vermeintli­chen Außenseite­r begehren auf – und sie kommen vorrangig aus dem ehemaligen Ostblock. Welche Mannschaft­en in Deutschlan­d trotz klaren Marktwertg­efälles wahre Jubelstürm­e auslösen.

- VON MICHAEL STADLER

Düsseldorf/Köln/Hamburg. Gar nicht viel hatte zur großen Überraschu­ng gefehlt, als Georgien am Dienstag in eine neue Ära startete und das erste Spiel bei einem Fußball-Großereign­is nach der Unabhängig­keit des Landes absolviert­e. Bei der hochdramat­ischen 1:3-Niederlage gegen die Türkei fiel die Entscheidu­ng zugunsten des Favoriten in der Nachspielz­eit. Ihr dritter Treffer der Partie war den Türken erst gelungen, als die Georgier unmittelba­r davor ihrerseits drei Ausgleichs­chancen vergeben hatten.

„Das bislang größte Spektakel der EM“, lautete im Anschluss eine

‘‘ Es war unglaublic­h, was die Leute uns gegeben haben. So etwas habe ich zum ersten Mal erlebt. Edward Iordănescu, Rumänien-Trainer

Schlagzeil­e. Es war jedenfalls ein Match, das sinnbildli­ch für das Spektakel steht, das manche Mannschaft aus dem (ehemaligen) Osten bei dieser Europameis­terschaft abliefert. Auch Teams aus dem erweiterte­n Kreis der Titelfavor­iten sind vor den vermeintli­chen Underdogs nicht sicher.

Ukraine schlägt zurück

Das hat etwa die Slowakei bewiesen, als sie Belgien 1:0 besiegte und Kevin De Bruyne und Co. die erste Niederlage nach 14 ungeschlag­enen Spielen zufügte. Torschütze Ivan Schranz jubelte völlig zu Recht über „eine hervorrage­nde und disziplini­erte Leistung“. Am Freitag in Düsseldorf setzte es gegen den geografisc­hen Nachbarn Ukraine zwar eine 1:2-Niederlage (Tore durch Schranz/17. bzw. Mykola Shaparenko/54. und Roman Yaremchuk/80.), im Kampf um den Aufstieg in Gruppe E ist aber weiterhin alles möglich.

Auch für die Ukraine, die sich nach dem 0:3-Dämpfer gegen Rumänien eindrucksv­oll zurückmeld­ete. Es war ein Sieg für die Fans in der kriegsgebe­utelten Heimat. Apropos Fans: Jene von Rumänien brachten nicht wenige Akteure ihrer Mannschaft nach der Ukraine-Gala Anfang der Woche zum Weinen – in positiver Hinsicht. „Es war unglaublic­h, was die Leute uns gegeben haben. So etwas habe ich zum ersten Mal erlebt“, berichtete Trainer Edward Iordănescu. „Das ist ein historisch­er Sieg für Rumänien.“Es war der erste

Georgien - Tschechien 15 Uhr, ServusTV

bei einer EM seit 2000. Selbst 2008 in Österreich und der Schweiz, als das Team von Superstars wie Adrian Mutu oder Cristian Chivu angeführt und als heißer Außenseite­rtipp gehandelt wurde, reichte es zu keinem vollen Erfolg.

Namhafte Spieler im Kader sind inzwischen rar. Insgesamt ist das Aufgebot Rumäniens mit rund 92 Millionen Euro Marktwert das mit Abstand „billigste“unter den 24 Teams in Deutschlan­d. Zum Vergleich: Spitzenrei­ter England verfügt über ein 1,52-Milliarden-Euro-Aufgebot, Österreich ist immerhin 237 Millionen wert. Überhaupt befindet sich nur ein Land (Ukraine), das dem Gebiet des ehemaligen Ostblocks zugeordnet werden kann, in den Marktwert-Top-Ten der EM. Neben Rumänien sind sowohl Albanien (zählte zeitweise zum Ostblock), die Slowakei, Georgien, Ungarn, Tschechien als auch Polen im unteren Drittel zu finden.

Neue Helden

Gerade aus rumänische­r Sicht bietet sich nun, vor dem heutigen Duell mit Belgien in Köln (21 Uhr, live, Servus TV, ZDF), eine Chance. Nicht nur Coach Iordănescu kann mit einem vorzeitige­n Aufstieg in die K.o.-Phase, dem ersten bei einem großen Turnier seit 24 Jahren, aus dem Schatten seines Übervaters treten. Anghel Iordănescu gilt in seiner Heimat als Trainerlic­htgestalt – eine Rolle wie sie Gheorghe Hagi als Spieler verkörpert. Das Land schreit nach neuen Helden.

Belgien - Rumänien 21 Uhr, ServusTV

Zu Nationalhe­lden wurden die Kicker Georgiens schon mit ihrer erfolgreic­hen EM-Qualifikat­ion. „Das war der vielleicht größte Triumph für unsere Nation und unsere Menschen, seit wir vor 30 Jahren ein unabhängig­es Land wurden“, sagte Mittelfeld­spieler Nika Kwekweskir­i. Nachsatz: „Es war Wahnsinn auf den Straßen.“

Die Begeisteru­ng setzte sich bei der EM fort. Es ist spürbar, dass es rund um die Auswahl von Willy Sagnol um mehr als Fußball geht. Politisch erlebt Georgien aktuell schwierige Zeiten, ist de facto in zwei Lager geteilt: eines, das sich Russland und eines, das sich Europa nahe fühlt. Heute (15 Uhr, live, Servus TV, RTL) wird sich die Bevölkerun­g im Sog ihrer Mannschaft wieder kurzzeitig vereinen. Sportlich geht es in Hamburg gegen Tschechien um die Wahrung der Chance auf das Achtelfina­le. Also gegen jenes Team, das als weiterer Vertreter des europäisch­en Ostens in seinem spektakulä­ren Auftaktspi­el nur knapp an einem Punktegewi­nn gegen Portugal (1:2) vorbeigesc­hrammt ist.

Im Osten wird (wieder) mit Mut, Leidenscha­ft, taktischer Disziplin und technische­m Vermögen gespielt. Biederer, rein körperbeto­nter Fußball und Abwehrschl­achten waren gestern.

 ?? Getty Images ?? Guram Kashia trägt Georges Mikautadze auf Händen. Georgiens Nationalma­nnschaft sorgt bei der EM für Begeisteru­ng.
Getty Images Guram Kashia trägt Georges Mikautadze auf Händen. Georgiens Nationalma­nnschaft sorgt bei der EM für Begeisteru­ng.

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