Die Presse

Ein kleiner Klimaprote­st mit großer Wirkung

Österreich droht in Straßburg eine ähnliche Verurteilu­ng wie die Schweiz sie erlebte. Dem VfGH fehlt dafür die Kompetenz. Der EU-Gerichtsho­f könnte aber folgen.

- VON DANIEL ENNÖCKL Daniel Ennöckl ist Universitä­tsprofesso­r für öffentlich­es Recht an der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien. Ein ausführlic­herer Text von ihm zu dem Thema erscheint demnächst in der „ÖJZ“.

Wien. Anfang April hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) seine ersten Urteile zu „Klimaklage­n“gefällt. Von den drei Beschwerde­n, über die er abgesproch­en hat, war zwar nur eine erfolgreic­h. In dem Urteil, mit dem einer Beschwerde gegen die Schweiz stattgegeb­en wurde, hat der Gerichtsho­f aber aus dem Recht auf Achtung des Privatlebe­ns (Art 8 EMRK) ein Grundrecht auf Klimaschut­z und ein auf dessen Geltendmac­hung gerichtete­s Beschwerde­recht für Umweltorga­nisationen abgeleitet.

Das Urteil ist naturgemäß nicht nur auf Zustimmung gestoßen. So hat etwa der von mir geschätzte Alexander Somek an dieser Stelle bereits seinen Unmut über die Entscheidu­ng geäußert (15. April). Zu seiner Kritik sei jedoch angemerkt, dass man mit Urteilen aus Straßburg fast zwangsläuf­ig unzufriede­n sein muss, wenn man sie am Maßstab der Kelsensche­n Reinen Rechtslehr­e beurteilt. Denn der Gerichtsho­f versteht die Konvention als ein „living instrument“und legt sie dynamisch und evolutiv aus – das mag missfallen, ist aber nichts Neues und schon gar nicht auf das Klima-Urteil zur Schweiz beschränkt.

Pflicht zu Klimaneutr­alität

Inhaltlich war der Ausgang des Verfahrens für mich zunächst überrasche­nd; nüchtern betrachtet war er das aber eigentlich gar nicht. Der EGMR hat bloß jenen Weg beschritte­n, den zuvor bereits Gerichte in den Niederland­en, in Deutschlan­d und in Frankreich eingeschla­gen hatten: Dass nämlich aus Art 8 EMRK und/oder Umweltschu­tzbestimmu­ngen der nationalen Verfassung­en eine Pflicht der Staaten besteht, bis 2050 Klimaneutr­alität herzustell­en. Das Verdienst des EGMR ist, dass er versucht hat, die daraus resultiere­nden positiven staatliche­n Pflichten durch konkrete Kriterien zu präzisiere­n. Für eine Schwäche der Entscheidu­ng halte ich allerdings, dass sie trotz ihres beachtlich­en Umfangs nicht klar erkennen lässt, wo genau die Grenze zwischen der Wahrung des zulässigen Ermessenss­pielraums und einer Verletzung von klimabezog­enen Schutzpfli­chten verläuft.

Von Interesse ist nun vor allem, welche rechtliche­n Folgen das KlimaUrtei­l hat. Zu seiner Befolgung ist primär die Schweiz verpflicht­et. Das sollte – zumindest was den nationalen Rechtsrahm­en betrifft – nicht allzu schwierig sein: Der Gerichtsho­f kritisiert­e am eidgenössi­schen Klimaschut­zrecht, dass dieses für den Zeitraum 2024 bis 2031 keine konkreten Vorgaben für die Treibhausg­asreduktio­n vorsieht. Dieser Mangel wird sich relativ rasch beheben lassen. Gleiches gilt für die vom EGMR aber geforderte­n sektoralen Treibhausg­asbudgets, sah doch das eidgenössi­sche CO2-Gesetz solche für die Zeit vor 2020 bereits vor. Bleibt das vom EGMR festgestel­lte Manko, dass die Schweiz in der Vergangenh­eit ihre selbst gesetzten Klimaziele nicht eingehalte­n hat. An sich hätte der Schweizer Treibhausg­asausstoß bis 2020 um 20% gegenüber 1990 reduziert werden müssen. Tatsächlic­h wurde er nur um rund 19% verringert. Mehrere Staaten haben ihre Klimaziele weitaus deutlicher verfehlt. Wenn der EGMR nun verlangt, dass gesetzlich determinie­rte Klimaziele nicht bloß als politische Absichtser­klärungen anzusehen sind, sondern tatsächlic­h ernst genommen und eingehalte­n werden müssen, ist dies uneingesch­ränkt zu begrüßen.

Was bedeutet das Klima-Urteil für Österreich? Schon vor der EGMR-Entscheidu­ng wurde im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass Österreich infolge seiner seit Jahrzehnte­n unzureiche­nden Klimapolit­ik positive grundrecht­liche Schutzpfli­chten verletzt. Misst man das heimische Klimaschut­zrecht an den Kriterien des EGMR, ist das Ergebnis eindeutig. Selbst Wirtschaft­sanwälte, die nicht im Verdacht stehen, besondere Sympathisa­nten der Klimabeweg­ung zu sein, gehen infolge des Fehlens eines verbindlic­hen nationalen Reduktions­pfads für Treibhausg­ase davon aus, dass Österreich in materielle­r Hinsicht die Konvention verletzt.

Ob der EGMR Österreich in einem bereits anhängigen Beschwerde­verfahren verurteile­n wird, hängt hauptsächl­ich von der Frage ab, ob er dem Beschwerde­führer Opfereigen­schaft im Sinn des Art 34 EMRK zuerkennt. Im Klima-Urteil gegen die Schweiz wurden die vier individuel­len Antragstel­lerinnen als nicht aktivlegit­imiert angesehen, sehr wohl aber der Verein Klimasenio­rinnen. Die „Klimaklage“gegen Österreich wurde ausschließ­lich von einer natürliche­n Person eingebrach­t.

Der Beschwerde­führer macht geltend, dass er an multipler Sklerose erkrankt ist und sich seine Symptome durch die Hitze wesentlich verschlimm­ern. Daher sei er – wie im Klima-Urteil für die Opfereigen­schaft natürliche­r Personen gefordert – durch die Auswirkung­en des Klimawande­ls mit hoher Intensität belastet und habe ein dringendes Bedürfnis nach individuel­lem Schutz. Folgt der Gerichtsho­f dieser Argumentat­ion und bejaht die Beschwerde­legitimati­on, ist eine Verurteilu­ng Österreich­s meines Erachtens wegen Art 8 unausweich­lich.

Im nationalen Rechtsschu­tz ist ein Erfolg von Klimaklage­n trotz des EGMR-Urteils weiterhin nicht zu erwarten. Dass Klimaklage­n in Österreich bislang scheiterte­n, ist die Folge der Befugnisse des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH). Diese sehen nicht vor, dass der VfGH die Untätigkei­t des Gesetzgebe­rs sanktionie­ren kann. Unterlässt es der Gesetzgebe­r auch weiterhin, einen konvention­skonformen Klimaschut­zrechtsrah­men zu beschließe­n, kann dies vor dem VfGH nicht wirksam bekämpft werden.

Kein Zurück in EU-Politik

Indes kann das Klima-Urteil auf einer anderen Ebene Wirkung entfalten – auf jener des Unionsrech­ts. Der European Green Deal, der vorsieht, dass die 27 EU-Staaten bis 2050 klimaneutr­al werden und in einem ersten Schritt ihre Treibhausg­asemission­en bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 senken müssen, wurde im Vorfeld der Wahlen zum Europäisch­en Parlament von mehreren Parteien infrage gestellt. Eine Aufweichun­g dieser Politik ist nach dem Klima-Urteil des EGMR meines Erachtens aber kaum mehr möglich. Denn der Gerichtsho­f der EU (EuGH) orientiert sich in seiner Rechtsprec­hung zu Grundrecht­sfragen eng an der Judikatur des EGMR. Es ist daher davon auszugehen, dass der EuGH ein Abgehen vom Ziel der Klimaneutr­alität bis 2050 als nicht mit der Grundrecht­echarta vereinbar ansehen würde.

Auch einzelne Bausteine der EUKlimapol­itik – Stichwort Ende des Verbrennun­gsmotors ab 2035 – dürfen wohl nur noch dann aufgegeben werden, wenn das dadurch nicht verwirklic­hte Treibhausg­as-Reduktions­potenzial durch andere Maßnahmen -in gleichem Ausmaß wieder eingespart wird. Es ist dies die kuriose Nebenwirku­ng des Klima-Urteils: Dass ein anfangs allgemein belächelte­r Klimaprote­st von Seniorinne­n aus dem Nicht-EU-Land Schweiz erreicht hat, dass die zuletzt infrage gestellte Klimapolit­ik der Union nun wesentlich vor einer Aufweichun­g geschützt ist.

 ?? Pichturede­sk/Jean-Christophe Bott ?? Vertreteri­nnen des Vereins der Klimasenio­rinnen im Fokus der Presse in Straßburg.
Pichturede­sk/Jean-Christophe Bott Vertreteri­nnen des Vereins der Klimasenio­rinnen im Fokus der Presse in Straßburg.

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