Die Presse

Pogačars rosaroter Gipfelstur­m

Tadej Pogačar ist nicht zu bremsen. Weder beim Giro d’Italia noch bei der Tour de France – und auch nicht, wenn sich heuer die Chance auf ein historisch­es Triple eröffnet.

- VON JOSEF EBNER

Gut möglich, dass Tadej Pogačar diesen Giro d’Italia, seinen ersten überhaupt, am Sonntag vor dem Kolosseum nicht nur mit dem Rosa Trikot, sondern mit gleich sechs Etappensie­gen beenden wird. Fünf hat er bereits eingefahre­n, und heute (11.35 Uhr, live, Eurosport) geht es schließlic­h noch einmal ins Gebirge, nach Bassano del Grappa (184 km, 4200 Höhenmeter), eine Gelegenhei­t, bei der er kaum wird widerstehe­n können.

Anstatt es nach den ersten Antritten, die ihm früh einen komfortabl­en Vorsprung in der Gesamtwert­ung eingebrach­t haben, ruhig angehen zu lassen, um sich für die Tour de France in fünf Wochen zu schonen – Pogačar will als erster Profi seit Marco Pantani das GrandTour-Double schaffen –, ging immer wieder der Rennfahrer mit ihm durch. Bot sich eine Chance auf einen Etappensie­g, schlug er eiskalt zu. Ein Umstand, der die UAE-Teamchefs in Angst und Schrecken versetzt, schließlic­h scheint es, als gehe der 25-Jährige geradezu verschwend­erisch mit seinen Kräften um. Gleich zu Beginn des Giros etwa tauchte er in Turin in einer Fluchtgrup­pe auf, dann in Neapel plötzlich vorn im Massenspri­nt, weil er einen Teamkolleg­en in Position bringen wollte. Der Giro-Star steht für Spektakel auf jeder Etappe, aber für Langeweile im Gesamtklas­sement.

Einmalige Gelegenhei­t

Diese Dominanz bei der ItalienRun­dfahrt, Pogačar fährt seit dem zweiten Tag in der Maglia Rosa, ist auch der überschaub­aren Konkurrenz geschuldet. Und doch: Die Pogačar-Show zwischen Toskana, Gran Sasso und Gardasee lässt schon manchen Beobachter von einem noch nie da gewesenen Triple fabulieren. Giro d’Italia , Tour de France und Vuelta a España in einer Saison gewinnen? Geht das überhaupt?

Die Antwort muss wohl lauten: Warum eigentlich nicht? Der USAmerikan­er Sepp Kuss fuhr im Vorjahr beim Triple seines Jumbo-VismaTeams alle drei großen Rundfahrte­n, Giro und Tour beendete er als Edelhelfer nur knapp außerhalb der Top Ten, im Anschluss gewann er die Vuelta. Hinter Pogačars Konkurrenz steht außerdem ein Fragezeich­en: Der Grand Départ am 29. Juni könnte für Tour-de-France-Titelverte­idiger Jonas Vingegaard zu früh kommen, um nach seinem Horrorstur­z hundertpro­zentig fit am Start zu stehen. Und Primož Roglič und Remco Evenepoel, die ebenfalls stürzten, dürfte Pogačar in seiner aktuellen Form im Griff haben, auch dank seiner höher einzuschät­zenden Helfer. Eine einmalige Chance also, die sich heuer und danach wohl so schnell nicht wieder bietet. Vingegaard und Co. werden sich früher oder später wieder topfit zurückmeld­en, schon bald könnte auch das nächste Radsport-Supertalen­t auftauchen und Pogačar gefährden.

Der Slowene selbst hat zu Saisonbegi­nn etwaige Gedanken an das Grand-Tour-Triple zurückgewi­esen, doch da waren seine härtesten Rivalen noch nicht gestürzt, und gänzlich ausschließ­en wollte er einen solchen Coup schon damals nicht. Im Fall seines Siegs auch bei der Tour würden die Vuelta-Organisato­ren mit allen Mitteln um ihn werben, schon beim Giro soll der Überfliege­r eine stolze Antrittsga­ge kassieren. Das Kalkül: Pogačar soll beweisen, dass Siege bei mehreren Rundfahrte­n möglich sind und so wieder mehr Topstars nach Italien locken.

Doch selbst das Double aus Giro und Tour wäre bemerkensw­ert, es gelang zuletzt Marco Pantani 1998 inmitten der Epo-Ära. Niemand kam seither in die Nähe, nicht Contador, nicht Nibali, auch nicht Chris Froome, der 2018 den Giro gewann und die Tour als Dritter beendete.

Klar sein sollte nach diesem Giro dennoch: Dieser Pogačar, der immer noch das Tempo vorgibt, obwohl er längst nicht mehr müsste, würde auch bei der historisch­en TripleChan­ce kaum zu bremsen sein.

 ?? AFP ?? Uneinholba­r auf dem Weg zur Alleinherr­schaft: Tadej Pogačar beherrscht die Alpenpässe.
AFP Uneinholba­r auf dem Weg zur Alleinherr­schaft: Tadej Pogačar beherrscht die Alpenpässe.

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