Was machen die Russen mit den westlichen Firmen?
Seit dem Krieg haben viele westliche Unternehmen ihr Russlandgeschäft billig verkauft. Mancher Käufer will oder kann nichts damit anfangen.
Zuletzt strichen wieder mehrere Ausländer in Russland die Segel. Die deutsche Modekette Boss etwa gab Ende April bekannt, einen Käufer für ihre Russlandtochter gefunden zu haben. Auch der Baustoffkonzern Knauf entschied sich zu gehen. Zuvor hatten dies heuer schon Konzerne wie Shell oder HSBC angekündigt. Die französische Danone verkauft auch.
Von einer neuen Welle des Rückzugs spricht daher der Frankfurter Sanktionsexperte Viktor Winkler, der zahlreiche Unternehmen in Sachen Russlandsanktionen berät, im Gespräch mit der „Presse“. Der lange Krieg habe auch diejenigen Unternehmen, die nicht unter Sanktionen stehen, zermürbt. Überhaupt steigt der Druck auf die Firmen seitens der Ukraine und des Westens, wie sich zuletzt bei der Raiffeisen Bank International (RBI) gezeigt hat, die sowohl von der Europäischen Zentralbank als auch von den USA aufgefordert worden ist, als größte Auslandsbank in Russland ihr Geschäft radikal herunterzufahren. Kommt es zu einem Verkauf, wäre auch die RBI zu einem vom Kreml vorgeschriebenen Preisabschlag von 50 Prozent gezwungen. Mitunter geht er auf 90 Prozent hoch.
Was machen Russen mit den Firmen?
Doch was passiert mit den ehemaligen Tochterfirmen vor Ort, wenn die Verbindung mit dem Westen gekappt ist? „Die Bilanz ist gemischt“, sagt Vasily Astrov, Russlandexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), zur „Presse“. „Denjenigen, die ihre Produktion zuvor schon stark lokalisiert haben, geht es gut. Diejenigen aber, bei denen es zu einem starken Einbruch der grenzüberschreitenden Wertschöpfung gekommen ist, haben zum Teil durchaus Schwierigkeiten“.
Zur ersten Kategorie gehört etwa die Fast-Food-Kette McDonald’s, die bald nach Kriegsbeginn an den vormaligen lokalen Geschäftspartner Alexandr Govor verkauft wurde, der sie unter dem Namen Vkusno i tochka (zu Deutsch „Lecker und Punkt“) weiterführt. Nach Anlaufschwierigkeiten mit der Etablierung von Ersatzprodukten für Big Mac und Co. läuft der Laden rund. Das liegt daran, dass eigentlich „alles unseres, russisch ist“, wie Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin bei der Wiedereröffnung 2022 mit Blick auf die russischen Landwirte sagte, die den Konzern seit Langem beliefern. Und es liegt daran, dass Govor selbst vom Fach ist.
Auch bei den wenigen Banken, die den Absprung geschafft haben, läuft das Russlandgeschäft relativ reibungslos weiter, da sie in kompetente Hände übergingen – wie im Fall der französischen Société Générale, deren Russlandtochter 2022 zum Spottpreis an den Oligarchen Wladimir Potanin ging, von dem sie die Franzosen 2008 erworben hatten.
Sekundärmarkt im Entstehen
Ganz anders sieht es etwa bei der Autoindustrie aus, nachdem fast alle westlichen Automarken das Land verlassen haben. Manche seien von obskuren, russischen Kleinfirmen übernommen worden, erklärt Astrov. „Es war klar, dass sie Probleme bekommen würden, da sie zuvor stark von ausländischen Komponenten abhängig waren, die importiert und, um hohe Importzölle zu umgehen, dann im Land zusammengebaut wurden.“So wird im vorherigen Hauptwerk von Renault in Moskau nun wieder die alte Sowjet-Marke Moskwitsch produziert – mit chinesischen Komponenten.
Die Übernahme eines westlich und effizient geführten Unternehmens bedeutet einerseits im innerrussischen Wettbewerb einen Startvorteil, sofern der Käufer kompetent ist. Andererseits kann sich ein branchenfremder Käufer, der vielleicht nur durch gute Verbindungen in die Politik zum Zug und zur Kaufgenehmigung gekommen ist, auch übernommen haben. Die Regierung habe bei der Verteilung der Unternehmen aktiv mitgemischt, sagt Oleg Vjugin, Ex-Vizechef der russischen Zentralbank und Ökonom, zur „Presse“. „Da kamen auch unbekannte und kleine Firmen zum Zug. Einige sehen heute, dass sie mit dem Management des Betriebs nicht zurechtkommen.“
Manche beginnen daher, die Flucht nach vorn anzutreten, wie das russische Wirtschaftsmedium RBK kürzlich mit Verweis auf einen
Moskauer Expertenkongress berichtete, auf dem Juristen und Unternehmensberater sich zu dem Thema äußerten: Hinter den Kulissen beginne so etwas wie ein Sekundärmarkt zu entstehen, auf dem die gekauften westlichen Unternehmen weiterveräußert würden.
Hoffnung auf den großen Schnitt
Es gebe bereits Anfragen von Kunden, die ein Geschäft von Ausländern gekauft und später bemerkt haben, dass sie den Geschäftserfolg, der mit der Regierung als Voraussetzung für die Kaufgenehmigung vereinbart gewesen sei, nicht erbringen können, sagte ein Vertreter der Moskauer Consultingagentur Kesarev. Ein anderer Unternehmensberater habe laut RBK von Anfragen potenzieller Käufer auf diesem Sekundärmarkt berichtet. Mehrere Experten würden meinen, dass dieser Markt wachse und Weiterverkäufe schon heuer stattfinden.
„Die Nachfrage von potenziellen Käufern ist da“, sagt auch Vjugin. „Ob daraus freilich ein großer Trend wird, lässt sich noch nicht sagen.“
Dass manche ihre gekauften westlichen Firmen jetzt loswerden möchten, liege laut den bei RBK zitierten Experten nicht nur am mangelnden Unternehmenserfolg. Sondern es liege auch daran, dass der Kreml zuletzt immer offensiver Unternehmen verstaatliche und die Käufer ausländischer Unternehmen daher eine Enteignung fürchteten. Es liege natürlich auch daran, dass diejenigen, die das Geschäft von den Ausländern mit dem vorgeschriebenen Preisabschlag von mindestens 50 Prozent gekauft hätten, beim Weiterverkauf ganz einfach einen ordentlichen Aufschlag bis hin zum Marktpreis erzielen wollen.
Gerade der letzte Grund drängt sich auch für den Russlandexperten Astrov auf: „Das war zu erwarten. In solchen Situationen verdienen manche gutes Geld mit dem Weiterverkauf“, sagt er im Gespräch.
An der Nachfrage mangelt es nicht, da qualitative und moderne ausländische Unternehmen in Russland begehrt sind. Als Beispiel gilt das Russlandgeschäft der Home Credit Bank, das eine russische Investorengruppe 2022 gekauft und zwei Jahre später an die russische Bank Sovcombank weiterverkauft hat.
Eine Frage bleibt laut Experten dabei aber offen: Wie sehr können sich solche Firmen ohne technologische Hilfe durch die ursprüngliche westliche Konzernmutter entwickeln?