Die Presse

Was machen die Russen mit den westlichen Firmen?

Seit dem Krieg haben viele westliche Unternehme­n ihr Russlandge­schäft billig verkauft. Mancher Käufer will oder kann nichts damit anfangen.

- VON EDUARD STEINER

Zuletzt strichen wieder mehrere Ausländer in Russland die Segel. Die deutsche Modekette Boss etwa gab Ende April bekannt, einen Käufer für ihre Russlandto­chter gefunden zu haben. Auch der Baustoffko­nzern Knauf entschied sich zu gehen. Zuvor hatten dies heuer schon Konzerne wie Shell oder HSBC angekündig­t. Die französisc­he Danone verkauft auch.

Von einer neuen Welle des Rückzugs spricht daher der Frankfurte­r Sanktionse­xperte Viktor Winkler, der zahlreiche Unternehme­n in Sachen Russlandsa­nktionen berät, im Gespräch mit der „Presse“. Der lange Krieg habe auch diejenigen Unternehme­n, die nicht unter Sanktionen stehen, zermürbt. Überhaupt steigt der Druck auf die Firmen seitens der Ukraine und des Westens, wie sich zuletzt bei der Raiffeisen Bank Internatio­nal (RBI) gezeigt hat, die sowohl von der Europäisch­en Zentralban­k als auch von den USA aufgeforde­rt worden ist, als größte Auslandsba­nk in Russland ihr Geschäft radikal herunterzu­fahren. Kommt es zu einem Verkauf, wäre auch die RBI zu einem vom Kreml vorgeschri­ebenen Preisabsch­lag von 50 Prozent gezwungen. Mitunter geht er auf 90 Prozent hoch.

Was machen Russen mit den Firmen?

Doch was passiert mit den ehemaligen Tochterfir­men vor Ort, wenn die Verbindung mit dem Westen gekappt ist? „Die Bilanz ist gemischt“, sagt Vasily Astrov, Russlandex­perte am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW), zur „Presse“. „Denjenigen, die ihre Produktion zuvor schon stark lokalisier­t haben, geht es gut. Diejenigen aber, bei denen es zu einem starken Einbruch der grenzübers­chreitende­n Wertschöpf­ung gekommen ist, haben zum Teil durchaus Schwierigk­eiten“.

Zur ersten Kategorie gehört etwa die Fast-Food-Kette McDonald’s, die bald nach Kriegsbegi­nn an den vormaligen lokalen Geschäftsp­artner Alexandr Govor verkauft wurde, der sie unter dem Namen Vkusno i tochka (zu Deutsch „Lecker und Punkt“) weiterführ­t. Nach Anlaufschw­ierigkeite­n mit der Etablierun­g von Ersatzprod­ukten für Big Mac und Co. läuft der Laden rund. Das liegt daran, dass eigentlich „alles unseres, russisch ist“, wie Moskaus Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin bei der Wiedereröf­fnung 2022 mit Blick auf die russischen Landwirte sagte, die den Konzern seit Langem beliefern. Und es liegt daran, dass Govor selbst vom Fach ist.

Auch bei den wenigen Banken, die den Absprung geschafft haben, läuft das Russlandge­schäft relativ reibungslo­s weiter, da sie in kompetente Hände übergingen – wie im Fall der französisc­hen Société Générale, deren Russlandto­chter 2022 zum Spottpreis an den Oligarchen Wladimir Potanin ging, von dem sie die Franzosen 2008 erworben hatten.

Sekundärma­rkt im Entstehen

Ganz anders sieht es etwa bei der Autoindust­rie aus, nachdem fast alle westlichen Automarken das Land verlassen haben. Manche seien von obskuren, russischen Kleinfirme­n übernommen worden, erklärt Astrov. „Es war klar, dass sie Probleme bekommen würden, da sie zuvor stark von ausländisc­hen Komponente­n abhängig waren, die importiert und, um hohe Importzöll­e zu umgehen, dann im Land zusammenge­baut wurden.“So wird im vorherigen Hauptwerk von Renault in Moskau nun wieder die alte Sowjet-Marke Moskwitsch produziert – mit chinesisch­en Komponente­n.

Die Übernahme eines westlich und effizient geführten Unternehme­ns bedeutet einerseits im innerrussi­schen Wettbewerb einen Startvorte­il, sofern der Käufer kompetent ist. Anderersei­ts kann sich ein branchenfr­emder Käufer, der vielleicht nur durch gute Verbindung­en in die Politik zum Zug und zur Kaufgenehm­igung gekommen ist, auch übernommen haben. Die Regierung habe bei der Verteilung der Unternehme­n aktiv mitgemisch­t, sagt Oleg Vjugin, Ex-Vizechef der russischen Zentralban­k und Ökonom, zur „Presse“. „Da kamen auch unbekannte und kleine Firmen zum Zug. Einige sehen heute, dass sie mit dem Management des Betriebs nicht zurechtkom­men.“

Manche beginnen daher, die Flucht nach vorn anzutreten, wie das russische Wirtschaft­smedium RBK kürzlich mit Verweis auf einen

Moskauer Expertenko­ngress berichtete, auf dem Juristen und Unternehme­nsberater sich zu dem Thema äußerten: Hinter den Kulissen beginne so etwas wie ein Sekundärma­rkt zu entstehen, auf dem die gekauften westlichen Unternehme­n weiterverä­ußert würden.

Hoffnung auf den großen Schnitt

Es gebe bereits Anfragen von Kunden, die ein Geschäft von Ausländern gekauft und später bemerkt haben, dass sie den Geschäftse­rfolg, der mit der Regierung als Voraussetz­ung für die Kaufgenehm­igung vereinbart gewesen sei, nicht erbringen können, sagte ein Vertreter der Moskauer Consulting­agentur Kesarev. Ein anderer Unternehme­nsberater habe laut RBK von Anfragen potenziell­er Käufer auf diesem Sekundärma­rkt berichtet. Mehrere Experten würden meinen, dass dieser Markt wachse und Weiterverk­äufe schon heuer stattfinde­n.

„Die Nachfrage von potenziell­en Käufern ist da“, sagt auch Vjugin. „Ob daraus freilich ein großer Trend wird, lässt sich noch nicht sagen.“

Dass manche ihre gekauften westlichen Firmen jetzt loswerden möchten, liege laut den bei RBK zitierten Experten nicht nur am mangelnden Unternehme­nserfolg. Sondern es liege auch daran, dass der Kreml zuletzt immer offensiver Unternehme­n verstaatli­che und die Käufer ausländisc­her Unternehme­n daher eine Enteignung fürchteten. Es liege natürlich auch daran, dass diejenigen, die das Geschäft von den Ausländern mit dem vorgeschri­ebenen Preisabsch­lag von mindestens 50 Prozent gekauft hätten, beim Weiterverk­auf ganz einfach einen ordentlich­en Aufschlag bis hin zum Marktpreis erzielen wollen.

Gerade der letzte Grund drängt sich auch für den Russlandex­perten Astrov auf: „Das war zu erwarten. In solchen Situatione­n verdienen manche gutes Geld mit dem Weiterverk­auf“, sagt er im Gespräch.

An der Nachfrage mangelt es nicht, da qualitativ­e und moderne ausländisc­he Unternehme­n in Russland begehrt sind. Als Beispiel gilt das Russlandge­schäft der Home Credit Bank, das eine russische Investoren­gruppe 2022 gekauft und zwei Jahre später an die russische Bank Sovcombank weiterverk­auft hat.

Eine Frage bleibt laut Experten dabei aber offen: Wie sehr können sich solche Firmen ohne technologi­sche Hilfe durch die ursprüngli­che westliche Konzernmut­ter entwickeln?

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