Die Presse

Die noch kaum beachtete Flanke der Pflegemise­re

24-Stunden-Pflegerinn­en aus dem Ausland decken einen wichtigen Teil des Pflegebeda­rfs. Das kann irgendwann vorbei sein.

- VON JAKOB ZIRM E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

Um 3,3 Prozent solle die Wirtschaft in Rumänien und Kroatien heuer wachsen, erklärte die EU-Kommission am Mittwoch. Wesentlich stärker als im europäisch­en Schnitt. Und vor allem wesentlich stärker als in Österreich. Für die Menschen in diesen Ländern ist das eine gute Nachricht: Der Wohlstand wächst. Für das heimische Pflegesyst­em sollte dies jedoch eine Warnung sein.

Denn das Pflegesyst­em steht bereits heute unter gehörigem Druck. So hat sich laut Rechnungsh­of die Zahl der stationär betreuten Personen seit 2016 um fast ein Drittel auf mehr als 96.000 erhöht. Der Personalst­and ist gleichzeit­ig aber nur um 14 Prozent angestiege­n. Diese Diskrepanz erklärt wohl auch jene Zustände in manchen Altenheime­n, über die erst diese Woche von Erwachsene­nvertreter­n berichtet wurde. Demnach waren im Vorjahr 33.000 Personen zumindest zeitweise von freiheitsb­eschränken­den Maßnahmen wie Sedierung oder Bettgitter­n betroffen.

Und der Personalma­ngel dürfte in den kommenden Jahren – trotz aller Bemühungen, mehr Menschen in Pflegeberu­fe zu bringen – wohl noch eher zunehmen. Laut Prognosen fehlen allein in den kommenden sechs Jahren 51.100 Pflegekräf­te und bis zum Jahr 2050 knapp das Vierfache davon.

Ddiesen beiden Ländern kommen derzeit vielfach jene rund 70.000 as bringt uns wieder zurück zu Rumänien und Kroatien. Denn aus selbststän­digen 24-Stunden-Betreuerin­nen, die das angespannt­e System gehörig entlasten. Sie betreuen weitere gut 35.000 Menschen, die sonst häufig auch einen Platz im stationäre­n Bereich brauchen würden. Möglich ist dies aber nur, weil der Einkommens­unterschie­d zwischen Österreich und beispielsw­eise Rumänien noch so groß ist, dass es sich für die Pflegerinn­en auszahlt, 1000 Kilometer zu fahren, um vier Wochen hindurch jeden Tag Pflegebedü­rftige in Österreich zu betreuen.

Sobald die Gehälter in den Herkunftsl­ändern allerdings ein gewisses Niveau erreicht haben, wird dieser Zustrom an Pflegerinn­en versiegen. Das war bereits bei der näher liegenden und wirtschaft­lich inzwischen weiter entwickelt­en Slowakei zu bemerken, die vor 15 Jahren noch den Großteil der ausländisc­hen 24-Stunden-Betreuerin­nen stellte. Und auch viele Rumäninnen werden sich in 15 Jahren wohl eher einen Job zu Hause suchen, wenn sich die wirtschaft­liche Entwicklun­g vor Ort so fortsetzt. Und ob sich in Ländern noch weiter im Osten oder Süden dann ein Ersatz finden lässt, ist aus heutiger Sicht fraglich.

Für die heimische Politik bedeutet dies, dass die Pflegeprob­lematik noch wesentlich gravierend­er ist, als sie sich anhand der ohnehin großen Betreuungs­lücke im stationäre­n Bereich darstellt. Zusätzlich zur Personalth­ematik kommt auch noch die finanziell­e Belastung für das Gesundheit­ssystem. So ist die Pflege im Heim trotz wesentlich schlechter­en Personalsc­hlüssels auch teurer als jene durch ausländisc­he Pflegerinn­en zu Hause.

Die Politik muss dieses Thema daher ebenfalls auf die Agenda setzen. Die Zeit drängt.

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