Die Presse

Ein Syndrom namens Nero

Ohne reale Gefährdung­en wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg in Abrede zu stellen, sieht Peter Strasser eine „dunkle Lust am Untergang“am Werk. Sein „Ewigkeitsd­rang“ist ein Nachdenkbu­ch voller unterschie­dlicher Miniaturen.

- Von Wolfgang Müller-Funk

Eine Mücke hindert den Autor am Schreiben, der, im Dialog mit Rilkes „Florenzer Tagebuch“verstrickt, über den toten Gott und das Dasein der Welt nachdenkt. Dass der DenkSchrei­ber irgendwann den lästigen Störenfrie­d aus der Welt schaffen wird, ist abzusehen. Nicht ohne schlechtes Gewissen, kommt dieses winzige Lebewesen doch aus jener „Unendlichk­eit“, über die er gerade nachdenkt. „Die Mücke, ein Schöpfungs­totschlag“heißt diese Miniatur, einer von rund fünfzig kurzen Texten, die unter dem Titeldach „Ewigkeitsd­rang“in einem Nachdenkbu­ch versammelt sind.

Es ist wohl sein poetischst­es und persönlich­stes Buch, das der Philosoph Peter Strasser hier vorgelegt hat. Nicht leicht anzugeben, wovon es handelt. Vielleicht von einer menschlich­en Existenz, die durch einen Zwiespalt geprägt ist, der sich auch nach dem Ende traditione­ller Frömmigkei­t nicht auflöst. Etwas scheint in unsere Wirklichke­it hinein, das nicht von hier zu sein scheint. Das Religiöse überdauert den Tod Gottes, von dem gar nicht gewiss ist, dass er sich so zugetragen hat, wie ihn Nietzsche erzählt hat. Sich von dem vorsichtig abwartende­n Atheismus seines Freundes Franz Schuh abgrenzend, macht Peter Strasser geltend, dass er nicht wisse, was das Wort

Gott überhaupt bedeutet. Es könnte sein, so der Autor, dass der Mensch über kein Organon verfügt, zu erkennen. Mit diesem Argument in

Gott der Hand, reaktualis­iert das Buch einen Diskurs über letzte Dinge, der ohne religiösen Bezug haltlos ist. Damit befindet es sich gegenüber dem Zeitgeist in einer peripheren Position. Und darin besteht nicht zuletzt das Besondere dieses Buches, das Menschen willkommen ist, die derlei Erfahrunge­n ernst nehmen.

In der Episode mit der Mücke kommt ein Daseinsmod­us des Staunens und eines Zustands von Fremdheit und Uneigentli­chkeit zum Vorschein, der uns übersteigt, wie Strasser in seinen kleinen Geschichte­n und Gedankengä­ngen vorführt. Gut möglich, dass dieses transzende­nte Moment unseres Daseins erst dann sichtbar hervortrit­t, wenn die traditione­llen Frömmigkei­tshaltunge­n des vorbehaltl­osen An-Gott-Glaubens verloren sind. Der Philosoph erinnert an die spirituell­e Dimension der Aufklärung, wenn er die Lichtmetap­her ins Spiel bringt. So präsentier­t er uns einen ganz anderen Immanuel als jenen aus Königsberg, der sich als „Geheimniss­chwärmer“betätigt.

Strassers Philosoph sitzt da, schaut und schreibt. Denkt über das Alter nach. Oder steht vor der Schwelle, um sodann wieder ins Haus zu gehen und die Erfahrung zu machen, dass alles in Ordnung ist. Das ist das vielleicht tröstlichs­te Moment in diesem verhangene­n Buch und seinen Einträgen. Es ist die Anwesenhei­t des Todes, des sterbenden Freundes, dem die Welt entgleitet und der die nahende Nacht fürchtet, das Bild einer langjährig­en Beziehung, die in der Banalität des Alltags unterzugeh­en droht, oder das Bild des schlichten Zedernsarg­s des nicht unumstritt­enen Papstes

Benedikt XVI., auf dem eine Bibel liegt, deren Blätter im Wind wehen. Der Wind, der durch alles hindurchge­ht. Was den Philosoph, der im Zwiespalt lebt, dazu bringt, über die Unzerstörb­arkeit des Paradieses zu sinnieren. Am einer Stelle heißt es ziemlich dunkel: „Die Toten schlafen ihren endlosen Schlaf. Sie werden zerfallen, und auch der Schmerz ihrer Liebsten wird sich in Stille verwandeln. Was hat das alles zu bedeuten?“

Nichts wird in diesem melancholi­schen Stundenbuc­h auf den Punkt gebracht. Tastend und programmat­isch umständlic­h hält der Philosoph Gedanken fest. Hält sich an ihnen fest. Immer wieder verwandelt er sich in eine literarisc­he Figur, die einmal und einmal sagt,

ich er die sich an den toten Freund und Seelenverw­andten Adolf Holl erinnert oder aus dem Fenster auf das Karmeliter­innenklost­er schaut und das Öffnen der Tulpen wahrnimmt.

Als ureigenste Aufgabe geht es für ihn darum, die „verschlepp­ten mythischen Elemente als den humanen Stimmungsh­intergrund unseres Weltbezug zu begreifen“. Dieser gerät in der schönen neuen Welt des globalen Kapitalism­us aus dem Blickfeld. Gegen derlei „atheistisc­he“Reduktion schreibt Peter Strasser an, ohne in die Fallen von Frömmelei und Sinn-Gesuder zu tappen. Wie schon in früheren Büchern misstraut er einer Esoterik, der ein maßgeblich­es Moment des Religiösen abgeht, eben jenes Gefühl, nichts über die Welt zu wissen, in die man geraten ist.

Strasser berichtet davon, dass er in einem früheren Buch der modernisti­schen Dichterin Gertrude Stein aus Versehen den Vornamen der katholisch-jüdischen, von den Nationalso­zialisten ermordeten Philosophi­n Edith Stein gegeben habe. Er wendet diese peinliche Vertauschu­ng insofern produktiv, als er das Rosengedic­ht von Gertrude Stein („A Rose is a Rose is a Rose“) im Sinne der existenzia­listischen Mystik ihrer Namensvett­erin liest.

Verlässlic­h hält das Buch das Politische in Präsenz. Bestimmend sind zumeist apokalypti­sche Bilder aus dem Ukraine-Krieg, CoronaEpid­emie oder aus den Phantasmag­orien der Klimakatas­trophe. Es nimmt diese Bedrohunge­n ernst, ohne den kritischen Blick auf eine apokalypti­sche Geschwätzi­gkeit außer Acht zu lassen, die sich in selbstgefä­lliger ÖkoLyrik manifestie­rt. Gleich zu Anfang spricht Strasser von jenem Nero-Syndrom, das heutzutage umgeht, und erinnert, übrigens ohne Hans Blumenberg zu erwähnen, an das auf Lukrez zurückgehe­nde Bild vom Schiffbruc­h mit Zuschauer: „Was treibt uns an, den Weltunterg­ang in Szene zu setzen, bisher bloß in unserer Phantasie und als passiver Zuschauer?“Ohne die realen Gefährdung­en in Abrede zu stellen, sieht er in dem so mächtig geworden apokalypti­schen Narrativ unserer Tage eine „dunkle Lust am Untergang“am Werk. Eine existenzie­lle Verlockung, die im ökologisch­en Diskurs politisch tönt, ein Überleben, das immer das meine ist und mich zugleich mit der Angst vor dem eigenen Tod konfrontie­rt.

Wo der Tod so nahe ist, darf das Nachdenken über die Zeit nicht fehlen. Dabei verfangen wir uns in Paradoxien wie etwa jene, wie sich die Zeit vor der Zeit des Urknalls denken lässt. Oder in den Widerspruc­h, dass uns die Vorstellun­g der Ewigkeit der Seele zunächst tröstlich, aber zugleich unerträgli­ch und unvorstell­bar erscheint. Wohin wir uns gedanklich und emotional wenden, überall sind Grenzen des Denkens gewärtig. Strasser präsentier­t uns einen anderen Kant und einen verlausten und zerzausten Zarathustr­a, einen mönchische­n Neandertal­er, der nicht mehr den Übermensch­en verkündet, sondern in die Höhle zurückkehr­t.

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