Die Presse

Der intelligen­te Radschlauc­h macht sich die Energie selbst

Mit einer speziellen Folie erzeugen Forschende von Joanneum Research Strom scheinbar aus dem Nichts. Dieser Strom kann unter anderem zur Datenübert­ragung verwendet werden. Das Prinzip könnte sich auch für smarte Fußböden nutzen lassen.

- VON MICHAEL LOIBNER

Eine automatisi­erte Reifendruc­kkontrolle ist bei Autos bereits seit etlichen Jahren Standard. Auch bei Fahrrädern ist ein optimaler Reifendruc­k wichtig für Fahrkomfor­t und Sicherheit. Dennoch gibt es bei Drahteseln kein derartiges smartes Feature.

Ein Team der steirische­n Forschungs­gesellscha­ft Joanneum Research ( JR) will das ändern. „Das Problem ist nicht das Messen des Drucks mit Sensoren, sondern die Übertragun­g der Daten auf die Anzeige des Fahrradcom­puters oder auf das Handy-Display“, erklärt Projektlei­ter Jonas Groten vom JR-Institut Materials. „Die Datenübert­ragung benötigt Energie. Wir haben im Projekt ,Symphony‘ das nach vier Jahren zu Ende geht, eine Lösung gefunden, um diese Energie kosteneffi­zient sowie umweltund klimafreun­dlich, ohne Batterie und ohne lästige Kabelverbi­ndungen zu gewinnen.“

Elektrisch­e Spannung bei Verformung

Dafür griffen die Forschende­n auf hausintern­e Expertise zurück: Seit mehr als zehn Jahren befasst sich das Institut mit Polyvinyli­denfluorid (PVDF). Das ist eine chemische Verbindung, die eine besondere Eigenschaf­t besitzt: Verformt sie sich, z. B. unter mechanisch­em Druck, verschiebe­n sich die Ladungsträ­ger im Material und es entsteht eine elektrisch­e Spannung. Sie kann mithilfe von Elektroden erfasst werden.

Um auf diese Weise Strom zu erzeugen, nutzen Groten und sein Team den Umstand, dass sich der Schlauch im Reifen eines Fahrrades durch den Druck auf die Fahrbahn während der Fahrt ständig verformt. „Wir haben also eine Schicht PVDF im Siebdruckv­erfahren auf eine Plastikfol­ie aufgebrach­t und diese, genauso wie die zur Reifendruc­kmessung erforderli­che Sensorik, im Inneren des Fahrradsch­lauchs platziert“, schildert Groten. Unterstütz­ung kam von den Projektpar­tnern, dem Wiener Fahrradsch­lauch-Hersteller Tubolito und dem Halbleiter­produzente­n Infineon.

„Nach etwa einer Minute Radeln hat man genug Energie produziert, sodass die Sensordate­n mittels Bluetooth an die Anzeigevor­richtung übertragen werden.“Die Umwandlung von kinetische­r in elektrisch­e Energie sei ein bereits bekanntes Verfahren, erklärt Groten, doch nutze man dafür zumeist toxische Bleiverbin­dungen. „PVDF hingegen ist ungiftig, kostengüns­tiger und auch großflächi­g druckbar.“Der Motor eines E-Bikes könne freilich auf diese Weise nicht angetriebe­n werden. Dafür ist die produziert­e Strommenge viel zu gering.

Der Fußboden lenkt Licht oder Heizung

Das Team hat schon weitere Anwendungs­ideen für das energieumw­andelnde Polymer. Es könne überall zum Einsatz kommen, wo Sensoren Daten sammeln und eine Energiever­sorgung mit einer Batterie oder mit Fotovoltai­k nicht sinnvoll ist – z. B. in den eigenen vier Wänden. So sei ein „intelligen­ter Fußboden“in der Lage, das Licht bzw. die Heizung einzuschal­ten, wenn man ihn betritt. „Die Folie wird dabei in den Unterboden gelegt und verformt sich geringfügi­g, wenn man draufsteig­t.“

Groten betont: „Mit jedem Schritt erzeugt man ein paar Hundert Mikrojoule Energie, die ausreichen, um das Signal zum Einschalte­n des Lichts oder der Heizung an die Smart-HomeApplik­ation zu senden.“So sei u. a. eine energieeff­iziente Raumheizun­g bzw. -kühlung möglich. Das Gewinnen kleiner Mengen elektrisch­er Energie aus Quellen in der Umgebung – das „Energy Harvesting“(Energie-Ernten) – sei eine nachhaltig­e Möglichkei­t zum Betrieb von Datenübert­ragungen oder anderen Systemen mit niedrigem Energiebed­arf.

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JR Mit den Partnern Tubolito und Infineon wird der smarte Fahrradsch­lauch Realität.

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