Die Presse

Die Doppelmora­l im Gaza-Krieg

Der türkische Präsident Erdoğan und propalästi­nensische Studierend­e an Elite-Universitä­ten werfen dem Westen vor, Israel zu schonen. Doch sie messen selbst mit zweierlei Maß, wenn sie die Terrororga­nisation Hamas verharmlos­en.

- VON CHRISTIAN ULTSCH E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

Recep Tayyip Erdoğan liebt es, dem Westen Doppelmora­l vorzuwerfe­n. Selbst misst der türkische Staatspräs­ident allerdings auch gern mit zweierlei Maß, wenn es ihm gerade passt. So scheut er nicht davor zurück, Israels Premier, Benjamin Netanjahu, mit Adolf Hitler zu vergleiche­n und nun auch einen Handelsboy­kott gegen die einzige Demokratie des Nahen Ostens zu verhängen. Umgekehrt hatte Erdoğan neulich kein Problem damit, den Polit-Chef der palästinen­sischen Terrororga­nisation Hamas, Ismail Haniyeh, zu empfangen.

Bis heute bringt es der türkische Präsident nicht über die Lippen, den barbarisch­en Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober klar zu verurteile­n. „Ansichtssa­che“, sagt er dazu. Zugleich schloss sich seine Türkei der Völkermord-Anklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f an.

Israel muss sich zu Recht Kritik an seiner Kriegsführ­ung in Gaza gefallen lassen. Viel zu viele palästinen­sische Zivilisten sind den Bombardeme­nts zum Opfer gefallen. Das Ausmaß der Zerstörung und des Elends ist erschrecke­nd. Die israelisch­e Armee führt alles andere als einen Präzisions­krieg. Und trotz des hohen Blutzolls ist sie auch nach fast sieben Monaten noch weit von ihrem Ziel entfernt, die Hamas auszuschal­ten und alle Geiseln zu befreien.

Israel jedoch vorzuwerfe­n, einen Völkermord zu begehen, ist maßlos überzogen. Es ist genau definiert, was ein Genozid ist, nämlich die Summe von Gewalttate­n, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe zu zerstören. Wer dermaßen übersteige­rt, entwertet seine Kritik.

Ebenso unverständ­lich bleibt, wie jemand mit halbwegs intaktem moralische­n Kompass eine islamofasc­histische Terrororga­nisation vom Schlag der Hamas als Befreiungs­bewegung verharmlos­en und Parolen („From the river to the sea, Palestine must be free“) johlen kann, die Israels Auslöschun­g impliziere­n.

Von Erdoğan ist man einiges gewohnt. Doch Studierend­e zwischen New York und Wien sollten in der Lage sein zu differenzi­eren. Die Welt ist nicht schwarz und weiß wie das Palästinen­sertuch. Modische postkoloni­alistische Erklärungs­ansätze, verpeilte Apartheid-Vergleiche und Rassismust­heorien reichen nicht, um den Konflikt im Nahen Osten zu verstehen. Und Empörung ersetzt keine Analyse. Proteste gegen den Gaza-Krieg sind per se legitim. Universitä­ten müssen ein Ort des offenen Diskurses bleiben, doch sie dürfen kein gewalttäti­ger Brennpunkt antizionis­tischer Intoleranz und Dummheit werden.

Der Hamas kommt die Schützenhi­lfe aus Ankara und diversen Elite-Unis gerade recht. Angeblich sträuben sich die Extremiste­n, einem Deal über eine Waffenruhe und die Freilassun­g von Geiseln beziehungs­weise palästinen­sischen Gefangenen zuzustimme­n. Sie setzen darauf, dass Israel internatio­nal weiter unter Druck gerät und zum Rückzug gezwungen wird. Das Schicksal der Bevölkerun­g in Gaza ist den radikalen Islamisten in ihrer ideologisc­hen Verblendun­g ohnehin herzlich egal. Die Hamas hat zwei Ziele: Sie will in Gaza an der Macht bleiben und Israel, so wie es in ihrer Charta steht, vernichten.

Warum fordern Erdoğan und propalästi­nensische Sympathisa­nten an Hochschule­n bei aller teilweise berechtigt­en Kritik an Israel nicht die Kapitulati­on und den Abzug der Hamas? Weil sie mit zweierlei Maß messen?

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