Die Doppelmoral im Gaza-Krieg
Der türkische Präsident Erdoğan und propalästinensische Studierende an Elite-Universitäten werfen dem Westen vor, Israel zu schonen. Doch sie messen selbst mit zweierlei Maß, wenn sie die Terrororganisation Hamas verharmlosen.
Recep Tayyip Erdoğan liebt es, dem Westen Doppelmoral vorzuwerfen. Selbst misst der türkische Staatspräsident allerdings auch gern mit zweierlei Maß, wenn es ihm gerade passt. So scheut er nicht davor zurück, Israels Premier, Benjamin Netanjahu, mit Adolf Hitler zu vergleichen und nun auch einen Handelsboykott gegen die einzige Demokratie des Nahen Ostens zu verhängen. Umgekehrt hatte Erdoğan neulich kein Problem damit, den Polit-Chef der palästinensischen Terrororganisation Hamas, Ismail Haniyeh, zu empfangen.
Bis heute bringt es der türkische Präsident nicht über die Lippen, den barbarischen Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober klar zu verurteilen. „Ansichtssache“, sagt er dazu. Zugleich schloss sich seine Türkei der Völkermord-Anklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof an.
Israel muss sich zu Recht Kritik an seiner Kriegsführung in Gaza gefallen lassen. Viel zu viele palästinensische Zivilisten sind den Bombardements zum Opfer gefallen. Das Ausmaß der Zerstörung und des Elends ist erschreckend. Die israelische Armee führt alles andere als einen Präzisionskrieg. Und trotz des hohen Blutzolls ist sie auch nach fast sieben Monaten noch weit von ihrem Ziel entfernt, die Hamas auszuschalten und alle Geiseln zu befreien.
Israel jedoch vorzuwerfen, einen Völkermord zu begehen, ist maßlos überzogen. Es ist genau definiert, was ein Genozid ist, nämlich die Summe von Gewalttaten, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe zu zerstören. Wer dermaßen übersteigert, entwertet seine Kritik.
Ebenso unverständlich bleibt, wie jemand mit halbwegs intaktem moralischen Kompass eine islamofaschistische Terrororganisation vom Schlag der Hamas als Befreiungsbewegung verharmlosen und Parolen („From the river to the sea, Palestine must be free“) johlen kann, die Israels Auslöschung implizieren.
Von Erdoğan ist man einiges gewohnt. Doch Studierende zwischen New York und Wien sollten in der Lage sein zu differenzieren. Die Welt ist nicht schwarz und weiß wie das Palästinensertuch. Modische postkolonialistische Erklärungsansätze, verpeilte Apartheid-Vergleiche und Rassismustheorien reichen nicht, um den Konflikt im Nahen Osten zu verstehen. Und Empörung ersetzt keine Analyse. Proteste gegen den Gaza-Krieg sind per se legitim. Universitäten müssen ein Ort des offenen Diskurses bleiben, doch sie dürfen kein gewalttätiger Brennpunkt antizionistischer Intoleranz und Dummheit werden.
Der Hamas kommt die Schützenhilfe aus Ankara und diversen Elite-Unis gerade recht. Angeblich sträuben sich die Extremisten, einem Deal über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln beziehungsweise palästinensischen Gefangenen zuzustimmen. Sie setzen darauf, dass Israel international weiter unter Druck gerät und zum Rückzug gezwungen wird. Das Schicksal der Bevölkerung in Gaza ist den radikalen Islamisten in ihrer ideologischen Verblendung ohnehin herzlich egal. Die Hamas hat zwei Ziele: Sie will in Gaza an der Macht bleiben und Israel, so wie es in ihrer Charta steht, vernichten.
Warum fordern Erdoğan und propalästinensische Sympathisanten an Hochschulen bei aller teilweise berechtigten Kritik an Israel nicht die Kapitulation und den Abzug der Hamas? Weil sie mit zweierlei Maß messen?