Die Presse

Ein Staat, der für alles offen ist, ist nicht ganz dicht

Liberale Demokratie, die sich wie in Hamburg von irren Islamisten anspucken lässt oder wie in Wien dem Flirt mit dem Antisemiti­smus eine Bühne bietet, hat versagt.

- VON CHRISTIAN ORTNER

Wer zur Errichtung einer barbarisch­en Diktatur aufruft, ruft damit implizit zu Gewalt auf und gehört nicht beschützt, sondern bestraft.

In Hamburg rotteten sich jüngst mehr als tausend Menschen zusammen, um gegen die Demokratie zu demonstrie­ren. „Allahu akbar“schreiend forderten sie die Errichtung eines Kalifats, also einer islamistis­chen Diktatur, auf dem Geltungsge­biet des deutschen Grundgeset­zes.

Doch die Polizei löste die ganz offensicht­lich extrem verfassung­sfeindlich­e Manifestat­ion des islamistis­chen Mobs nicht etwa entschloss­en auf, sondern sorgte ganz im Gegenteil mit erhebliche­m Personalau­fwand für die Sicherheit der Veranstalt­ung und ihrer Teilnehmer. Ist ja alles durch die Meinungsfr­eiheit geschützt.

Ich halte das für eine naive und langfristi­g ziemlich gefährlich­e Einschätzu­ng der Lage. Eine liberale Demokratie, die zulässt, dass sie von ihren schlimmste­n Feinden öffentlich angespuckt wird, hat sich letztlich irgendwie aufgegeben und sendet ein völlig falsches Signal an ihre Gegner. „Von Großbritan­nien bis Deutschlan­d entwickelt sich der Islamismus schnell zur größten existenzie­llen Bedrohung für die Zukunft Europas“, fürchtet denn auch der Wiener Politikwis­senschaftl­er Ralph Schöllhamm­er. „Es ist überrasche­nd, dass dieselben Leute, die ständig vor dem Einmarsch russischer Panzer in Paris, London oder Berlin warnen, nichts über den Feind sagen, der bereits hier ist.“

Wer öffentlich zur Errichtung einer barbarisch­en Diktatur aufruft, ruft damit ja implizit zu Gewalt auf und gehört deshalb nicht beschützt, sondern bestraft und wo immer möglich abgeschobe­n, gern in das Kalifat seiner Wahl.

Stellen wir uns nur zur Einordnung einmal vor, in Wien träfen sich morgen tausend Nationalso­zialisten zu einer Demo und forderten das Ende der Demokratie und die Errichtung eines Führerstaa­ts – da wäre wohl das ganze Land im Ausnahmezu­stand, Millionen gingen auf die Straße und die Regierung schickte Antiterror­einheiten, um die nationalso­zialistisc­he Machtergre­ifung zu verhindern.

Dass religiös fundierte Islamo-Nazis das Gleiche völlig unbehellig­t unternehme­n können, zeigt nicht zuletzt, wie doppelbödi­g die Staatsmach­t da agiert.

Ein Beispiel für diese falsche und einäugige Toleranz werden wir demnächst auch in Wien erleben, wo die Wiener Festwochen ab Mitte Mai der brennenden Frage „Wie kann eine Selbstermä­chtigung der Zivilgesel­lschaft im 21. Jahrhunder­t aussehen?“nachgehen werden und zu diesem Behufe eine Art Räterepubl­ik – „Revolution!“– errichten werden. Das Ganze wirkt angesichts der Probleme der Gegenwart von Ukraine über Nahost ein wenig spätpubert­är und albern, aber bitte, kostet den Steuerzahl­er eh nur 13 Millionen Euro.

Eingebunde­n in das Projekt, und das ist eben auch so ein Fall von Toleranz dem Intolerant­en gegenüber, sind unter anderem der linke Schweizer Hasspredig­er Jean Ziegler („Spekulante­n gehören aufgehängt“), die Schriftste­llerin Annie Ernaux, die offen eine Bewegung unterstütz­t, die gegen Israel hetzt, sowie der ehemalige griechisch­e Finanzmini­ster Yanis Varoufakis, der das Pogrom vom 7. Oktober in Israel mit den Worten kommentier­t hat, er feiere alle, die ihr Leben riskieren, um den Zaun der Schande (zwischen Gaza und Israel) niederzure­ißen.

Anders als im Fall der Hamburger Islamisten­demo gegen die Demokratie haben wir es hier freilich mit Meinungen zu tun, die zwar durch und durch widerwärti­g sind, die eine Demokratie aber letztlich ertragen muss.

Ziegler, Ernaux und Varoufakis sollen ihren Müll öffentlich absondern dürfen, da gilt wirklich die Meinungsfr­eiheit.

Dafür auch noch Steuergeld zu verplemper­n ist freilich eine dreiste Zumutung.

Es ist eben manchmal ein delikater Drahtseila­kt zwischen Meinungsfr­eiheit und Selbstaufg­abe der liberalen Gesellscha­ft.

Der Islam-Experte Ahmad Mansour meinte nach der Kalifat-Demo: „Die politische­n Entscheidu­ngsträger haben im Kampf gegen den Islamismus weder Leidenscha­ft noch Entschloss­enheit gezeigt.“Das gilt bei den Wiener Festwochen genauso für den Kampf gegen den Antisemiti­smus, leider.

Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.

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