Ein Staat, der für alles offen ist, ist nicht ganz dicht
Liberale Demokratie, die sich wie in Hamburg von irren Islamisten anspucken lässt oder wie in Wien dem Flirt mit dem Antisemitismus eine Bühne bietet, hat versagt.
Wer zur Errichtung einer barbarischen Diktatur aufruft, ruft damit implizit zu Gewalt auf und gehört nicht beschützt, sondern bestraft.
In Hamburg rotteten sich jüngst mehr als tausend Menschen zusammen, um gegen die Demokratie zu demonstrieren. „Allahu akbar“schreiend forderten sie die Errichtung eines Kalifats, also einer islamistischen Diktatur, auf dem Geltungsgebiet des deutschen Grundgesetzes.
Doch die Polizei löste die ganz offensichtlich extrem verfassungsfeindliche Manifestation des islamistischen Mobs nicht etwa entschlossen auf, sondern sorgte ganz im Gegenteil mit erheblichem Personalaufwand für die Sicherheit der Veranstaltung und ihrer Teilnehmer. Ist ja alles durch die Meinungsfreiheit geschützt.
Ich halte das für eine naive und langfristig ziemlich gefährliche Einschätzung der Lage. Eine liberale Demokratie, die zulässt, dass sie von ihren schlimmsten Feinden öffentlich angespuckt wird, hat sich letztlich irgendwie aufgegeben und sendet ein völlig falsches Signal an ihre Gegner. „Von Großbritannien bis Deutschland entwickelt sich der Islamismus schnell zur größten existenziellen Bedrohung für die Zukunft Europas“, fürchtet denn auch der Wiener Politikwissenschaftler Ralph Schöllhammer. „Es ist überraschend, dass dieselben Leute, die ständig vor dem Einmarsch russischer Panzer in Paris, London oder Berlin warnen, nichts über den Feind sagen, der bereits hier ist.“
Wer öffentlich zur Errichtung einer barbarischen Diktatur aufruft, ruft damit ja implizit zu Gewalt auf und gehört deshalb nicht beschützt, sondern bestraft und wo immer möglich abgeschoben, gern in das Kalifat seiner Wahl.
Stellen wir uns nur zur Einordnung einmal vor, in Wien träfen sich morgen tausend Nationalsozialisten zu einer Demo und forderten das Ende der Demokratie und die Errichtung eines Führerstaats – da wäre wohl das ganze Land im Ausnahmezustand, Millionen gingen auf die Straße und die Regierung schickte Antiterroreinheiten, um die nationalsozialistische Machtergreifung zu verhindern.
Dass religiös fundierte Islamo-Nazis das Gleiche völlig unbehelligt unternehmen können, zeigt nicht zuletzt, wie doppelbödig die Staatsmacht da agiert.
Ein Beispiel für diese falsche und einäugige Toleranz werden wir demnächst auch in Wien erleben, wo die Wiener Festwochen ab Mitte Mai der brennenden Frage „Wie kann eine Selbstermächtigung der Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert aussehen?“nachgehen werden und zu diesem Behufe eine Art Räterepublik – „Revolution!“– errichten werden. Das Ganze wirkt angesichts der Probleme der Gegenwart von Ukraine über Nahost ein wenig spätpubertär und albern, aber bitte, kostet den Steuerzahler eh nur 13 Millionen Euro.
Eingebunden in das Projekt, und das ist eben auch so ein Fall von Toleranz dem Intoleranten gegenüber, sind unter anderem der linke Schweizer Hassprediger Jean Ziegler („Spekulanten gehören aufgehängt“), die Schriftstellerin Annie Ernaux, die offen eine Bewegung unterstützt, die gegen Israel hetzt, sowie der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der das Pogrom vom 7. Oktober in Israel mit den Worten kommentiert hat, er feiere alle, die ihr Leben riskieren, um den Zaun der Schande (zwischen Gaza und Israel) niederzureißen.
Anders als im Fall der Hamburger Islamistendemo gegen die Demokratie haben wir es hier freilich mit Meinungen zu tun, die zwar durch und durch widerwärtig sind, die eine Demokratie aber letztlich ertragen muss.
Ziegler, Ernaux und Varoufakis sollen ihren Müll öffentlich absondern dürfen, da gilt wirklich die Meinungsfreiheit.
Dafür auch noch Steuergeld zu verplempern ist freilich eine dreiste Zumutung.
Es ist eben manchmal ein delikater Drahtseilakt zwischen Meinungsfreiheit und Selbstaufgabe der liberalen Gesellschaft.
Der Islam-Experte Ahmad Mansour meinte nach der Kalifat-Demo: „Die politischen Entscheidungsträger haben im Kampf gegen den Islamismus weder Leidenschaft noch Entschlossenheit gezeigt.“Das gilt bei den Wiener Festwochen genauso für den Kampf gegen den Antisemitismus, leider.
Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.
Morgen in „Quergeschrieben“: Anneliese Rohrer