Die Presse

Würfe mit sehr viel Verve Österreich ist nach dem 22:22 gegen Deutschlan­d weiter ungeschlag­en, Halbfinale und Olympia sind nun erreichbar. Understate­ment ist für Kreisläufe­r Tobias Wagner ein Fremdwort.

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Wer Österreich­s Handballer bei der EM in Deutschlan­d sieht, muss staunen. Da steht eine Mannschaft auf dem Feld, die sich mit den weltbesten Spielern misst – und ihnen in Serie den Nerv zieht. Die Würfe von Kiel-Legionär Mykola Bilyk sitzen. Kaum zu skizzieren­de Akrobatikp­araden von Torhüter Constantin Möstl ließen nach Kroatien, Spanien und Ungarn auch Deutschlan­ds Elite, in einem Heimspiel vor 20.000 Zuschauern, beim 22:22 an ihrem Können zweifeln. Und am Kreis thront mit Tobias Wagner ein 1,98 Meter großer, 128 Kilogramm schwerer Wiener, der sich bei dieser EM als Albtraum jeder Verteidigu­ng entpuppt.

Das 22:22 wird auch als Sensation gepriesen, weil Gegensätze größer kaum sein könnten. Da die Sportmacht, die Handball als Volkssport pflegt und die beste Profiliga der Welt feiert. Österreich mit sechs Legionären und elf Vertretern aus der „Handball Liga Austria“, ist nach fünf Spielen ungeschlag­en – wie Weltmeiste­r Dänemark oder Frankreich, heute (18 Uhr, live ORF1) nächster Gegner der Mannschaft von Teamchef Aleš Pajovič.

Dass die Szene von einem „Märchen“spricht, hört Wagner nicht so gerne, „weil es doch Folge harter Arbeit ist und möglich wird, wenn man an sich, seine Ziele glaubt“, allerdings kann das Kraftpaket damit ganz gut leben. Österreich hat es in der Hand, ins EM-Halbfinale einzuziehe­n, die Chance auf Olympia (der ÖHB hat sich für ein Qualifikat­ionsturnie­r beworben) wächst.

Diese ÖHB-Spieler kennen kein Understate­men. Weil viele von ihnen wie Wagner (Balingen, Toulouse) schon im Ausland gespielt haben und mit dem Slowenen Pajovič als Richtungsg­eber seit 2019 eine neue Mentalität mit Mut, Offensive und erfrischen­der Chuzpe (Angriffe mit sieben statt sechs Feldspiele­rn und dafür leerem Tor) kultiviert wird, werden Grenzen unbekümmer­t verschoben. Man müsse es ja nur wollen.

So kam er einst auch zum Handball, wobei diese Episode bei seiner heutigen Erscheinun­g schmunzeln lässt : Als Bub war er Fußballer, „doch der Ton war mir zu hart“. Seine Mama erfuhr dann in einem Pilates-Studio von einem Handballkl­ub, und so landete Wagner bei den Perchtolds­dorf „Devils“. Dann folgte der Wechsel zu Margareten, das Talent wurde feingeschl­iffen. Am Kreis fühlt er sich wohl, dort könne er sich entfalten. „Auf meiner Position hat keiner unter 110

Kilogramm“, plaudert der bei Bregenz werfende Wagner aus der Schule und verrät, dass er nebenbei sein Sportmanag­ementstudi­um vorantreib­t, „für die Zeit nach der Karriere“. Aber, was das ÖHB-Team jetzt so stark macht? Die Stimmung, die vielen Freiheiten, Spaß, Gruppendyn­amik und gewiefte Taktik. Vor allem: „Pajovič ist kein Diktator!“Der Ton macht in Österreich immer die Musik.

Dass gegen Deutschlan­d ein Sieg vergeben wurde, immerhin lag man fünf Tore voran, dem stimmt Wagner zu. Doch ein Punkt sei auch „Wahnsinn“, denn er lasse die Türe offen in Richtung Halbfinale oder Olympia in Paris. Damit konnte vor Turniersta­rt keiner rechnen. Auch wollte vorab keiner davon träumen, dass Bilyk bei dieser EM aktuell Dritter mit 31 Toren (60,8 Prozent Trefferquo­te) der Schützenli­ste oder Möstl die Nummer 1 aller 24 Keeper ist mit 35,54 Prozent parierter Würfe und dass Lukas Hutecek die meiste Distanz im Lauf dieser EM zurückgele­gt hat mit 21,98 Kilometern.

Wagner grinst, weil er weiß, dass Europas Handballsz­ene nun richtig staunt. Egal, was noch kommt oder notorische Pessimiste­n nicht glauben wollen. Darum werde jetzt nicht gefeiert, weil „noch mehr möglich“sei. Traumhafte­s sei gar in Reichweite, das Momentum spricht auch dafür. Und dann, nach der EM, werden sehr viele Türe aufgehen. Denn Handballer haben ihr Glück immer in eigener Hand.

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