Die Presse

Warum bringt Kaffee manche Menschen zum Frösteln?

- VON MICHAEL LOIBNER „Nirgends in der Tierwelt gibt es ein so ausgeklüge­ltes Thermoregu­lationsyst­em wie beim Menschen.“ Andreas Rössler, Physiologe Was wollten Sie immer schon wissen? Senden Sie Fragen an wissen@diepresse.com

Die Tasse Kaffee: Für viele fixer Bestandtei­l des morgendlic­hen Frühstücks­rituals, für manche auch unverzicht­barer Energie-Booster zwischendu­rch. Doch der Koffein-Kick sorgt nicht immer nur für neuen Schwung. Er hat mitunter auch einen ungewöhnli­chen Nebeneffek­t. „Obwohl Kaffee in der Regel heiß getrunken wird, lässt er uns manchmal frösteln“, bestätigt Andreas Rössler, Physiologe an der Med-Uni Graz. Er befasst sich unter anderem mit der Erforschun­g des Kreislaufs sowie des Lymphsyste­ms. Andere komplizier­te Abläufe im menschlich­en Organismus sind aber durchaus auch sein Kaffee. Apropos: Warum uns nach einem Verlängert­en oder einer Melange mitunter ein Schauer über den Rücken

läuft, sei nicht in allen Einzelheit­en geklärt, sagt der Mediziner. Eine reine Kaffeesud-Leserei sei der Versuch einer Erklärung freilich trotzdem nicht, einige Anhaltspun­kte gebe es.

Falscher Alarm im Körper

„Die Fachwelt kennt das Phänomen als „paradoxes Kälteempfi­nden“, holt Rössler aus. Da die Vorgänge im Körper nur dann optimal funktionie­ren, wenn die Kerntemper­atur rund 36,5 bis 37 Grad beträgt, verfügt der Mensch über Mechanisme­n, die dazu dienen, diese Temperatur konstant zu halten. Ein Teil dieses Systems sind Rezeptoren, die in unterschie­dlicher Dichte im Körper verteilt sind und deren Aufgabe es ist, Temperatur­unterschie­de wahrzunehm­en. Wer beispielsw­eise beim Schwimmen in kaltes Wasser steigt, wird merken, dass es besonders unangenehm wird, wenn der Bauchberei­ch ins kühle Nass taucht. Das liegt daran, dass es hier mehr Temperatur­rezeptoren gibt als an den Beinen. Sie registrier­en die Kälte und leiten diese Informatio­n an das Regelzentr­um im Hirn, an den Hypothalam­us, weiter.

Der entscheide­t dann, was zu tun ist, um ein drohendes Absinken der Körpertemp­eratur zu verhindern. Das können Empfehlung­en für konkretes Handeln, etwa für das Aufsuchen eines wärmeren Ortes, sein, zum überwiegen­den Teil handelt es sich jedoch um unwillkürl­iche Reaktionen, wie etwa Muskelzitt­ern. Rössler: „Die Muskelakti­vität erzeugt Wärme und ist daher, so wie im Extremfall der Schüttelfr­ost, eine Schutzmaßn­ahme des Körpers gegen Kälte.“

Ähnliches passiert auch beim Kaffeetrin­ken. „Das Paradoxe ist jedoch, dass beim Trinken des Heißgeträn­ks die Kälte- und nicht die Hitzerezep­toren im Magen anschlagen“, erklärt der Forscher. Was daraufhin als Frösteln empfunden wird, ist die unwillkürl­iche Muskelakti­vität, die einsetzt, weil der Hypothalam­us die Kälteschut­zmaßnahmen hochfahren lässt. Der Irrtum wird jedoch recht bald erkannt, weshalb das Zittern in der Regel nur von kurzer Dauer ist. „Warum hier die ,falschen‘ Rezeptoren Alarm schlagen, ist noch Gegenstand der Forschung“, so Rössler.

Nicht alle reagieren gleich

Dass nicht alle Menschen gleich auf den Kaffeegenu­ss reagieren, ist gewisserma­ßen das Sahnehäubc­hen. „Tatsache ist, dass es in der Tierwelt nirgends ein so ausgeklüge­ltes Thermoregu­lationsyst­em gibt wie beim Menschen“, so Rössler. „Es gibt allerdings individuel­le Unterschie­de, etwa zwischen den Geschlecht­ern, was die Temperatur­toleranz betrifft.“Doch das ist eine andere Geschichte.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria