Kiews symbolischer Drohnenangriff auf St. Petersburg
Eine Attacke auf den Ölhafen der Ostseestadt zeigt, dass immer größere Teile Russlands Luftangriffe befürchten müssen.
Der Ukraine ist der bisher wohl weitreichendste Drohnenangriff auf Russland gelungen: Laut russischen Angaben wurde in der Nacht auf Donnerstag je eine Drohne bei Moskau und über St. Petersburg abgeschossen. Moskau (minimal ca. 450 Kilometer von der Ukraine entfernt) war schon oft Ziel von Drohnen, die Ukrainer haben mehrere Systeme, die das schaffen. Zum Zentrum St. Petersburgs, der Stadt an der Ostsee, sind es aber mindestens etwa 860 Kilometer.
Die Drohne flog den Ölhafen am westlichen Stadtrand an und hatte angeblich nur einen kleinen Gefechtskopf von wenigen Kilogramm Gewicht. Es gab weder Schäden noch Verletzte, Trümmer lagen auf dem Gelände des Terminals und im Wasser. Die Anlage hat laut Betreiber 21 oberirdische Tanks mit 386.000 Kubikmetern Füllvolumen, neben Erdölprodukten können auch andere Flüssigkeiten gelagert werden.
Schon eine kleine Bombe, insbesondere eine Hohlladung, könnte enorme Schäden verursachen, etwa Explosionen oder Brände. Das droht besonders bei Tanks, die keine doppelten Wände haben, die die Schutzwirkung einigermaßen verstärken würden. Nur drei oder vier der 21 Tanks haben doppelte Wände. Michail Sigin, einer der Chefs des Terminals, sagte zu russischen Medien, er sei froh über die „blitzartige Arbeit“der Flugabwehr gewesen. „Das half, eine riesige Katastrophe mit fürchterlichen Folgen, menschlichen Verlusten und gigantischen Umweltschäden für die Ostsee zu verhindern.“
Kiews „Drohnen-Zoo“ist groß
Der Angriff war auch hochsymbolisch: St. Petersburg ist die vielleicht „ehrenwerteste“jener zwölf sowjetischen Städte, die wegen der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg den Titel „Heldenstadt“erhielten; darunter sind auch die heute ukrainischen Städte Kiew und Odessa. St. Petersburg/Leningrad wurde damals etwa 28 Monate belagert und ausgehungert, Hunderttausende Einwohner starben.
Welche Drohne es war, ist unklar: Kiews „Drohnen-Zoo“ist groß, es kommt oft Neues dazu, doch ist die Auswahl mit solch Flugweite überschaubar. Es könnte eine „Bober“(Biber) von Ukroboronprom gewesen sein, ein Modell, das im Vorjahr etwa bei Moskau, Krasnodar und Kaluga zum Einsatz kam. Es ähnelt optisch einer Kreuzung aus Zeppelin und Ente, betrieben von einem Propeller am Heck, 2,5 Meter lang, 2,5 Meter Spannweite, 150 Kilogramm Leergewicht und (hier gehen die Angaben stark auseinander) 25 bis 70 Kilogramm Nutzlast. Reichweite: etwa 1000 Kilometer oder sieben Flugstunden, 200 km/h Höchstgeschwindigkeit. Zur Steuerung dürfte ein Trägheitsnavigationssystem mit programmiertem Ziel dienen, wohl auch GPS.
Einen Angriff auf ein Flugfeld bei Pskow nahe der Grenze zu Estland Ende August könnten Bobers geflogen haben, wobei damals auch andere Namen fielen. Der Schlag über etwa 700 Kilometer, der mehrere Transportflugzeuge zerstörte, galt als bis dahin weitreichendster einer ukrainischen Drohne. Eine Attacke über ebenfalls rund 700 Kilometer im Dezember 2022 gegen die Luftwaffenbasis Engels-2 am Unterlauf der Wolga bei
Saratow erfolgte mit Düsen-Marschflugkörpern des sowjetischen Modells Tupolew Tu-141 und Tu-143, sie würden mit rund 1000 km Reichweite St. Petersburg leicht treffen. Das könnten auch Propellerdrohnen wie die UJ-22 Airborne von Ukrjet (800 Kilometer) und die kleine PD-2 von Ukrspecsystems (bis 1300). Letztere trägt aber nur wenig Nutzlast, elf Kilogramm laut Hersteller, was indes den Verdacht nährt, dass so eine gegen das Ölterminal flog, weil den Berichten zufolge der Sprengkopf so leicht war.
Schwächung der Front
Auch die Primoco One 150 aus Tschechien, einem kleinen Flugzeug sehr ähnlich, könnte mit 1500 km Reichweite St. Petersburg treffen. 15 davon spendeten Belgien, die Niederlande und Luxemburg, doch sind es primär Aufklärer. Jedenfalls müssen sich immer größere Teile Russlands von Angriffen bedroht fühlen, die die Luftabwehr nicht immer stoppen kann. Und Flugabwehrwaffen, die man so tief im Hinterland zurückhält, fehlen an der Front und in den annektierten Gebieten.