Die Presse

Kiews symbolisch­er Drohnenang­riff auf St. Petersburg

Eine Attacke auf den Ölhafen der Ostseestad­t zeigt, dass immer größere Teile Russlands Luftangrif­fe befürchten müssen.

- VON WOLFGANG GREBER

Der Ukraine ist der bisher wohl weitreiche­ndste Drohnenang­riff auf Russland gelungen: Laut russischen Angaben wurde in der Nacht auf Donnerstag je eine Drohne bei Moskau und über St. Petersburg abgeschoss­en. Moskau (minimal ca. 450 Kilometer von der Ukraine entfernt) war schon oft Ziel von Drohnen, die Ukrainer haben mehrere Systeme, die das schaffen. Zum Zentrum St. Petersburg­s, der Stadt an der Ostsee, sind es aber mindestens etwa 860 Kilometer.

Die Drohne flog den Ölhafen am westlichen Stadtrand an und hatte angeblich nur einen kleinen Gefechtsko­pf von wenigen Kilogramm Gewicht. Es gab weder Schäden noch Verletzte, Trümmer lagen auf dem Gelände des Terminals und im Wasser. Die Anlage hat laut Betreiber 21 oberirdisc­he Tanks mit 386.000 Kubikmeter­n Füllvolume­n, neben Erdölprodu­kten können auch andere Flüssigkei­ten gelagert werden.

Schon eine kleine Bombe, insbesonde­re eine Hohlladung, könnte enorme Schäden verursache­n, etwa Explosione­n oder Brände. Das droht besonders bei Tanks, die keine doppelten Wände haben, die die Schutzwirk­ung einigermaß­en verstärken würden. Nur drei oder vier der 21 Tanks haben doppelte Wände. Michail Sigin, einer der Chefs des Terminals, sagte zu russischen Medien, er sei froh über die „blitzartig­e Arbeit“der Flugabwehr gewesen. „Das half, eine riesige Katastroph­e mit fürchterli­chen Folgen, menschlich­en Verlusten und gigantisch­en Umweltschä­den für die Ostsee zu verhindern.“

Kiews „Drohnen-Zoo“ist groß

Der Angriff war auch hochsymbol­isch: St. Petersburg ist die vielleicht „ehrenwerte­ste“jener zwölf sowjetisch­en Städte, die wegen der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg den Titel „Heldenstad­t“erhielten; darunter sind auch die heute ukrainisch­en Städte Kiew und Odessa. St. Petersburg/Leningrad wurde damals etwa 28 Monate belagert und ausgehunge­rt, Hunderttau­sende Einwohner starben.

Welche Drohne es war, ist unklar: Kiews „Drohnen-Zoo“ist groß, es kommt oft Neues dazu, doch ist die Auswahl mit solch Flugweite überschaub­ar. Es könnte eine „Bober“(Biber) von Ukroboronp­rom gewesen sein, ein Modell, das im Vorjahr etwa bei Moskau, Krasnodar und Kaluga zum Einsatz kam. Es ähnelt optisch einer Kreuzung aus Zeppelin und Ente, betrieben von einem Propeller am Heck, 2,5 Meter lang, 2,5 Meter Spannweite, 150 Kilogramm Leergewich­t und (hier gehen die Angaben stark auseinande­r) 25 bis 70 Kilogramm Nutzlast. Reichweite: etwa 1000 Kilometer oder sieben Flugstunde­n, 200 km/h Höchstgesc­hwindigkei­t. Zur Steuerung dürfte ein Trägheitsn­avigations­system mit programmie­rtem Ziel dienen, wohl auch GPS.

Einen Angriff auf ein Flugfeld bei Pskow nahe der Grenze zu Estland Ende August könnten Bobers geflogen haben, wobei damals auch andere Namen fielen. Der Schlag über etwa 700 Kilometer, der mehrere Transportf­lugzeuge zerstörte, galt als bis dahin weitreiche­ndster einer ukrainisch­en Drohne. Eine Attacke über ebenfalls rund 700 Kilometer im Dezember 2022 gegen die Luftwaffen­basis Engels-2 am Unterlauf der Wolga bei

Saratow erfolgte mit Düsen-Marschflug­körpern des sowjetisch­en Modells Tupolew Tu-141 und Tu-143, sie würden mit rund 1000 km Reichweite St. Petersburg leicht treffen. Das könnten auch Propellerd­rohnen wie die UJ-22 Airborne von Ukrjet (800 Kilometer) und die kleine PD-2 von Ukrspecsys­tems (bis 1300). Letztere trägt aber nur wenig Nutzlast, elf Kilogramm laut Hersteller, was indes den Verdacht nährt, dass so eine gegen das Ölterminal flog, weil den Berichten zufolge der Sprengkopf so leicht war.

Schwächung der Front

Auch die Primoco One 150 aus Tschechien, einem kleinen Flugzeug sehr ähnlich, könnte mit 1500 km Reichweite St. Petersburg treffen. 15 davon spendeten Belgien, die Niederland­e und Luxemburg, doch sind es primär Aufklärer. Jedenfalls müssen sich immer größere Teile Russlands von Angriffen bedroht fühlen, die die Luftabwehr nicht immer stoppen kann. Und Flugabwehr­waffen, die man so tief im Hinterland zurückhält, fehlen an der Front und in den annektiert­en Gebieten.

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