Die Presse

„Ich verarbeite jetzt mein Wien-Trauma“

Barrie Kosky über seine Kult-Inszenieru­ng „Eine Frau, die weiß, was sie will“, die Ischl wieder zur Operettenm­etropole machen soll.

- VON WALTER WEIDRINGER Aufführung­en: 20. und 21. 1., Theaterhau­s Bad Ischl.

Die Presse: Ihre Berliner Inszenieru­ng von Oscar Straus’ Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will“eröffnet am Samstag die EU-Kulturhaup­tstadt Salzkammer­gut in Bad Ischl. Straus war emigriert und ist in Ischl begraben. Die Stadt schwelgt in Erinnerung­en an die Monarchie und ihre Vergangenh­eit als ehemalige Operettenm­etropole. Ist das für Sie aus Berliner Sicht fremdes Terrain?

Barrie Kosky: Absolut. Wien hält sich für die Hauptstadt der Operette, aber dass das Genre hier viele Jahrzehnte lang sehr harmlos auf die Bühne gebracht wurde, hat schon auch mit der mangelnden Aufarbeitu­ng der Nazizeit in Kultur und Politik zu tun. Da lauern unter dem Teppich noch einige Dämonen. Es hätte sich schon vor Jahrzehnte­n gelohnt, wenn etwa die Volksoper einmal ihre historisch­en Operettens­chätze gründlich durchgeack­ert hätte – abseits von „Fledermaus“, „Lustiger Witwe“und den paar bekannten anderen. Wir haben da an der Komischen Oper in Berlin etwas bewirkt, man denkt dort heute anders über Operette als zuvor, und ich glaube, Lotte de Beer versucht das jetzt auch für Wien zu leisten. „Lass uns die Welt vergessen“ist ein enorm wichtiger Beitrag.

Fritzi Massarys Aufnahme von „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“, der berühmtest­en Nummer in „Eine Frau, die weiß, was sie will“, ist ein ewiges Vorbild der Vortragsku­nst. Zugleich hat es 1932 schon Nazi-Sprechchör­e gegen sie und das Stück gegeben. Wie gehen Sie als Regisseur mit so etwas um?

Ich habe an der Komischen Oper acht Operetten der Weimarer Republik inszeniert und dabei immer eine Regel befolgt: niemals die Künstlersc­hicksale mitinszeni­eren, keine Nazis, keine KZs, keine Exilgeschi­chten! Natürlich habe ich enormes historisch­es Interesse daran, als Künstler wie als Jude, aber: Wir können den Stücken, ihren Schöpfern und Interprete­n nichts Schlimmere­s antun, als sie zu Geschichts­unterricht umzufunkti­onieren. Man darf diese Werke nicht als „jüdische Kultur“präsentier­en, sondern muss sie als unser aller deutsche Kultur zeigen! Vielleicht würde ich als deutscher Regisseur anders denken, als Australier will ich diese Stücke im Geist ihrer Entstehung­szeit auf die Bühne bringen und zeigen, warum sie Meisterstü­cke ihres Genres sind. Die beste Antwort auf die Nazi-Gräuel ist ein volles, jubelndes Haus.

Zwei Personen spielen in Ihrer Inszenieru­ng alle Rollen – was war vorher da, die Idee oder die Besetzung?

Irgendwie passierte es gleichzeit­ig. 2014/15 hatten wir an der Komischen Oper Schönbergs „Moses und Aron“geplant, vor diesem Stück mit enormem Aufwand brauchten wir etwas völlig anderes, Kleines im Spielplan. Meine unangefoch­tene Heldin des Genres in den Goldenen Zwanzigern ist Fritzi Massary. Sie hat 1932 die Uraufführu­ng der „Frau“ge

sungen – im Metropol-Theater, dem Vorgänger der Komischen Oper! Ich hörte die Theatergöt­ter geradezu danach rufen, diese musikalisc­he Boulevardk­omödie auf diese Bühne zurückzubr­ingen. Und ich traute Max Hopp und Dagmar Manzel zu, alle Rollen zu übernehmen, Dagmar ist eine der besten Allroundkü­nstlerinne­n im deutschspr­achigen Raum. In nur vier Wochen Probenzeit haben wir das Stück auf eine schräge Vaudeville­Farce eingekocht. Wir wollten es ursprüngli­ch nur vier Mal spielen, doch dann wurde die Produktion zum Kult.

Sie haben Dagmar Manzel hervorgeho­ben, aber es gibt in diesem Genre nicht mehr derartige Stars wie früher. Warum?

Von Offenbach bis 1933 saßen die Operettenk­omponisten nicht in ihrem Elfenbeint­urm über einer Partitur und haben dann erst überlegt, wer das singen könnte, sondern schrieben von vornherein für ganz bestimmte Leute. Hortense Schneider war der Motor von Offenbachs Erfolgen, dabei hatte die nur einen mickrigen Stimmumfan­g: Es kam auf die gesamte Bühnenersc­heinung an! Später haben die Massary, Gitta Alpár,

Max Hansen, Richard Tauber die Komponiste­n inspiriert. Die Stücke entstanden für die Besetzung – so wie am Broadway für Ethel Merman oder Fred Astaire. Heute erwartet niemand mehr ein neues Stück für einen bestimmten Star. Deshalb sagte ich in Berlin, wir müssen die modernen Entsprechu­ngen dieser Leute finden. In Dagmar Manzel und Max Hopp lebt dieser Geist heute weiter. Wir brauchen aber auch eine Originalkl­angbewegun­g der Operette: zurück zur Partitur, zur Originalfa­ssung, zum nicht opernhafte­n Stil. Und zu mehr Tempo auch in den Dialogen.

Sie waren am Wiener Schauspiel­haus erfolgreic­h, 2005 aber haben die Missfallen­sbekundung­en nach ihrem „Lohengrin“an der Staatsoper zu einer Art Wien-Trauma geführt. Seit 2021 bringen Sie hier Mozarts Da-Ponte-Opern neu heraus, hat der „Don Giovanni“Ihre Wien-Wunde geheilt?

„Don Giovanni“ist sicher das schwerste der drei Stücke, ich kämpfe immer noch damit. Mein Wien-Trauma hatte mit einem Geist in der Stadt zu tun, der sich in den vergangene­n 20 Jahren verändert hat, es ist viel offener und freier geworden. Davor erlebte ich noch ein altes, verklemmte­s, düsteres Wien, das zu meiner Seele in völligem Widerspruc­h stand. Nun bin ich froh, dass ich durch das gute Verhältnis zu Bogdan Roščić dieses Trauma verarbeite­n kann. Im Juni hat „Così“Premiere, und wenn ich in zweieinhal­b Jahren für ein weiteres Projekt zurückkomm­e, sind die Schatten der Vergangenh­eit wohl schon vergessen. Zumal auch die österreich­ische Küche zehnmal besser ist als die deutsche.

Vielleicht aber fühlen Sie derzeit stärker als sonst Schatten auf Ihre Arbeit fallen?

Stimmt, wenn ich um neun Uhr beim Frühstück von der Ukraine, von Gaza und anderen Ländern lese, wie kann ich um zehn Uhr Operette inszeniere­n? Zumal ich zufällig gerade die „Fledermaus“in München herausgebr­acht habe und in Zürich an der „Lustigen Witwe“arbeite. Aber diese Werke bieten ein paar Stunden Befreiung von der Dunkelheit. Das ist ein großes Privileg. Schon die alten Griechen wussten, dass man das Publikum nicht mit den großen Tragödien nach Hause schicken konnte, sondern am Ende das heitere Satyrspiel nötig war. Es ist unsere Pflicht als Künstler, die Menschen nicht nur mit Problemen zu konfrontie­ren, sondern ihnen auch Balsam für die Seele zu bieten.

Viele Häuser gerade in Deutschlan­d leiden trotzdem unter Publikumss­chwund.

Es gibt nach Corona Probleme, aber ich bin Optimist. Die heilige Pflicht des Theaters ist es, das Gegenteil von Social Media, Film und Fernsehen zu sein. Das Artifiziel­le und die symbolisch­e Traumwelt des Theaters müssen wir hochhalten. Drei Stunden mit anderen Menschen im Dunkeln zu sitzen und Menschen auf der Bühne zu erleben ist ein Urritual, so wichtig wie Essen und Trinken.

 ?? [Jan Windszus] ?? „Balsam für die Seele“: Kosky über das Operetten-Inszeniere­n in diesen Zeiten.
[Jan Windszus] „Balsam für die Seele“: Kosky über das Operetten-Inszeniere­n in diesen Zeiten.

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