Nehammers Personal-Credo: Keine Experimente mehr
Die schwarze ÖVP ist wieder da: Was die Kür Reinhold Lopatkas zum EU-Spitzenkandidaten über die Nehammer-Volkspartei erzählt.
Als Sebastian Kurz 2017 an die Spitze der ÖVP gelangte, war man sich in dessen Umfeld in einer Sache einig: Das, was man gemeinhin unter „etablierter Politik“versteht, sei in der Krise. Man gab der alten Partei also eine neue Farbe und versuchte PRwirksam auf politische Quereinsteiger zu setzen. Vernetzung in der eigenen Parteistrukrur, Kenntnis politischer Abläufe und Erfahrung auf mehreren Ebenen waren daher bei Personalentscheidungen in der türkisen Ära nicht zwingend gefragt.
Lopatkas Kür zum EU-Spitzenkandidaten ist nun das exakte Gegenteil dessen. Denn der Steirer verkörpert die vortürkise ÖVP wie kaum ein anderer: Der bald 64-jährige Steirer ist in der Partei hervorragend vernetzt und ein Polit-Routinier; in den steirischen Landtag zog er ein, als Sebastian Kurz gerade einmal ein paar Wochen alt war. Lopatka ist – wie Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer – Mitglied des katholischen Cartellverbands, der unter Kurz kurzzeitig massiv an Bedeutung verloren hat. Und: Wie nahezu die gesamte Spitze der ÖVP gehört Lopatka dem
Arbeitnehmerflügel der Partei, dem ÖAAB, an. Das gilt neben Nehammer selbst auch für Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Parlamentsklubchef August Wöginger und ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.
Das Ziel: Ruhige Fahrwasser
Die Personalentscheidung für die zumindest planmäßig erste Wahl des Superwahljahrs 2024 steht sinnbildlich für den Strategiewechsel der Kanzlerpartei: In der ÖVP geht es nämlich längst nicht mehr darum, irgendwelche Signale des Aufbruchs zu setzen oder mit überraschenden Personalentscheidungen neue Wählerschichten zu erschließen. Ziel sei es viel eher, wie man in der ÖVP hört, die Partei in schwierigen Zeiten wieder in ruhigere Fahrwasser zu bringen – und nicht zuletzt gehe es auch darum, schlichtweg klassische Kernwähler anzusprechen.
Das war der Fall, als Nehammer den heute 63-jährigen Niederösterreicher Christian Stocker der glücklosen Laura Sachslehner – damals 28 Jahre alt und politisch weitgehend unerfahren – als Generalsekretär der ÖVP vorzog. Nehammers weitere Personalentscheidungen: Mit Gerhard Karner übernahm im Dezember 2022 ein niederösterreichischer Polit-Profi das Amt des Innenministers, das zuvor Nehammer innehatte. Karner sitzt im ÖAAB-Bundesvorstand und managte jahrelang die niederösterreichische ÖVP.
Als es galt, die abgetretene Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger zu ersetzen, fiel die Wahl auf Bauernbunddirektor Norbert Totschnig. Heinz Faßmann, erst von Kurz in die Politik geholt, wurde als Bildungsminister ersetzt durch Martin Polaschek, empfohlen wurde er von der steirischen ÖVP-Spitze. Im Mai 2022 machte Nehammer Susanne Kraus-Winkler zur Staatssekretärin für Tourismus. Die 68-Jährige war zuvor Chefin der Hotel-Fachgruppe in der Wirtschaftskammer.
Die Jüngste im Bunde jener Politiker, die Nehammer in sein Team geholt hat, ist Claudia Plakolm. Doch auch die Kür der Oberösterreicherin zur Jugendstaatssekretärin war nicht gerade eine Überraschung: Plakolm, seit 2016 im Landesvorstand der Oberösterreichischen ÖVP, war zuvor schon Chefin der Jungen Volkspartei und saß als Jugendsprecherin für die ÖVP im Nationalrat.