Marines Glück mit den Wiener Philharmonikern
„Ich höre, ich sehe, ich fühle das Meer nicht“, schrieb Pierre Lalo, Sohn des Komponisten Edouard Lalo, in seiner Rezension der Pariser Uraufführung von „La Mer“. Das kränkte Debussy so sehr, dass er sich zu einer Entgegnung hinreißen ließ: Er erklärte seinen „leidenschaftlichen Respekt“gegenüber dem Meer, aber auch, dass „der Staub der Vergangenheit nicht immer ehrwürdig“sei. Fünf Jahre später, 1910, scheiterte der Wiener Concert-Verein an diesen „Drei Symphonischen Skizzen für Orchester“. Erst 1932 gelang die österreichische Erstaufführung – im Musikverein, durch die Philharmoniker unter Pierre Monteux. Seitdem haben sie diesen impressionistischen Klassiker 80 Mal gespielt, unter den bedeutendsten Dirigenten wie Furtwängler, Toscanini, Karajan.
Diesmal, bei der Voraufführung des vierten Abonnementskonzerts (heute und morgen im Musikverein, am Montag im Konzerthaus), stand Philippe Jordan am Pult. Von Beginn weg merkte man seine besondere Affinität zu diesem Werk. Souverän steuerte er die Höhepunkte an, überzeugte durch eine den eigentümlichen Charme der Musik herausstreichende Tempodramaturgie, zeigte viel Feingefühl für alle rhythmischen Pointen.
Meer war das Motto dieses Abends. Da durften die „Four Sea Interludes“aus Brittens „Peter Grimes“nicht fehlen. Erstaunlich, wie selten sie im Konzert gespielt werden. Dabei zeichnen sie sich durch spannende Dramatik, einfühlsame Poesie, effektvolle Steigerungen, aber auch mystische Tiefe aus. Genau aus dieser Perspektivenvielfalt entwickelten sie Jordan und die ihm ideal folgenden Philharmoniker in glänzender Spiellaune.
Der Abend begann mit Mendelssohns diskret musizierter Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“und Ernest Chaussons „Poème de l’amour et de la mer“: ein sich zu immer stärkerer Emotionalität aufschwingender Monolog, der subtile Naturschilderung mit herzzerreißenden Liebesklagen verknüpft. Da ist nicht nur eine technisch ausgezeichnete, stimmlich souveräne Sängerin gefordert, sondern auch eine Interpretin, die sich in die spezifische Psychologie dieser differenzierten Musik hineindenkt. Auch das konnte Nicole Car, einfühlsam von den Wienern begleitet. Grandios.