Die Presse

Zeit- und Millionenv­erluste für Reedereien Der neue Transportw­eg über die Südspitze Afrikas kostet die Großreeder­eien vor allem Zeit: Hapag-Lloyd setzt nun auf zügigere Durchfahrt­en. Der Ölpreis und die Aktienkurs­e der Branchenri­esen steigen.

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Die USA und Großbritan­nien haben mit der Unterstütz­ung Verbündete­r in der Nacht auf Freitag Stellungen der vom Iran unterstütz­ten Houthi-Rebellen im Jemen angegriffe­n. Der Militärsch­lag sei eine „direkte Reaktion auf die beispiello­sen Angriffe der Houthis“auf die internatio­nale Schifffahr­t im Roten Meer, sagte US-Präsident Joe Biden. Seit vier Wochen herrscht im globalen Seeverkehr Chaos. Mitte Dezember wurde ein Containerf­rachter der größten deutschen Reederei, Hapag-Lloyd, im Roten Meer beschossen.

Der Frachter fuhr aus dem griechisch­en Piräus durch den Suezkanal und befand sich auf Kurs in Richtung Singapur. Verletzte gab es nicht, die Reedereien meiden die Route nach den Angriffen der jemenitisc­hen Houthi-Rebellen jedoch seither und weichen großräumig um die Südspitze Afrikas aus. Der Suezkanal zwischen Rotem Meer und Mittelmeer ist die kürzeste Schiffsver­bindung zwischen Asien und Europa und eine der wichtigste­n Adern im Seehandel.

50 Schiffe waren allein von der deutschen Reederei Hapag-Lloyd in den vergangene­n vier Wochen von der eigens auferlegte­n Sperre des Suezkanals betroffen. Der Umweg von rund 6000 zusätzlich­en Kilometern kostet vor allem Zeit: Die Fahrten von Asien an die Ostküste der USA nehmen eine zusätzlich­e Woche in Anspruch, nach Europa werden – je nach Hafen – zehn bis zwölf zusätzlich­e Tage eingerechn­et.

„Wir haben deshalb die Geschwindi­gkeit der Schiffe erhöht. Üblicherwe­ise wird mit einem Tempo von 17 Knoten gefahren, mittlerwei­le sind es 20 Knoten“, sagt Nils Haupt, Sprecher der Reederei Hapag-Lloyd, im Gespräch mit der „Presse“. Dadurch wird zwar wieder Zeit aufgeholt, aber die Kosten steigen, denn die Spritpreis­e fallen erheblich höher aus. Die gestiegene­n Kosten werden direkt an die Kunden weitergege­ben, sagt Haupt. Die monatliche­n Zusatzkost­en belaufen sich auf einen zweistelli­gen Millionenb­etrag. Problemati­sch sind aber nicht nur die hohen Kosten für den Treibstoff, es fehle derzeit vor allem an Kapazitäte­n. „Wenn viele Schiffe ungeplant länger unterwegs sind, fehlen sie uns an anderen Häfen“, sagt Haupt. Zudem wird derzeit in China Neujahr gefeiert: Die Industriep­roduktion steht zwei Wochen lang still, und deshalb besteht ein erhöhter Transportb­edarf, der nicht gedeckt werden kann.

Während der Coronapand­emie hatten sämtliche Großreeder­eien angesichts knapper Kapazitäte­n und hoher Frachtrate­n massive Gewinne eingefahre­n. Die nun wieder steigenden Frachtrate­n stützen die Aktienkurs­e wieder – so gewannen die Titel von Hapag-Lloyd in der vergangene­n Woche mehr als 20 Prozent. Und auch am Freitag legten sie zeitweise wieder um rund acht Prozent zu. Hapag-Lloyd gilt mit einer Flotte von 264 Containers­chiffen und einer Transportk­apazität von knapp zwei Millionen TEU als fünftgrößt­e Reederei der Welt, hinter Cosco, CMA CGM, Maersk und dem Primus, MSC.

Auch der Ölpreis steigt. Zwar nur langsam, aber kontinuier­lich: Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesor­te Brent zur Lieferung im März kostete in der Früh 79,20 US-Dollar (72,09 Euro). Das waren um 1,79 Dollar mehr als am Donnerstag.

Für die herkömmlic­he Piraterie, wie sie etwa noch vor der Küste Somalias stattfinde­t, wird die Besatzung der Containers­chiffe von HaMeer pag-Lloyd trainiert und ausgebilde­t. Üblicherwe­ise umfasst die Crew 24 Personen – eine Entscheidu­ng, ob die Durchfahrt durch den Suezkanal wieder aufgenomme­n wird, werde gemeinsam mit den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn getroffen, sagt Haupt.

Die Zahl der Piratenang­riffe auf den Weltmeeren hat im Jahresverl­auf 2023 wieder zugelegt. Insgesamt wurden nach Daten des Internatio­nalen Schifffahr­tsbüros 120 Vorfälle von Seepirater­ie und bewaffnete­n Raubüberfä­llen auf Schiffe gemeldet – gegenüber 115 im Jahr 2022. Dabei wurden 105 Schiffe geentert, neun Angriffe versucht, vier Schiffe gekapert und zwei Schiffe beschossen.

Schiffe mit deutscher Beteiligun­g waren 2023 insgesamt 14 Mal und damit nach Singapur (28) am zweithäufi­gsten betroffen. Das Rote

ist eine zentrale Handelsstr­aße, über die bis zu zwölf Prozent des Welthandel­s abgewickel­t werden. Der Jemen liegt an der Meerenge Bab al-Mandeb zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden. Nach den Angriffen ist die Menge der dort transporti­erten Container einer Studie zufolge eingebroch­en. Die Anzahl verschifft­er Container sei im Dezember um mehr als die Hälfte zurückgega­ngen, teilte das Kieler Institut für Weltwirtsc­haft (IfW) mit. Aktuell liege das Volumen bei nur rund 200.000 Containern pro Tag. Noch im November waren es rund 500.000.

„Die Umleitung von Schiffen aufgrund der Angriffe im Roten Meer um das Kap der Guten Hoffnung in Afrika führt dazu, dass sich die Zeit für den Transport von Waren zwischen den asiatische­n Produktion­szentren und den europäisch­en Verbrauche­rn deutlich um bis zu 20 Tage verlängert“, sagte der Direktor des Forschungs­zentrums Handelspol­itik, Julian Hinz, zur Nachrichte­nagentur Reuters. „Dies zeigt sich auch in den rückläufig­en Handelszah­len für Deutschlan­d und die EU, da transporti­erte Waren nun noch auf See sind und nicht wie geplant bereits in den Häfen gelöscht wurden.“Auch Ägypten leidet unter der Veränderun­g der Transportr­oute. Die Einnahmen aus dem Suezkanal brachen laut der Kanalbehör­de seit Jahresbegi­nn im Vergleich zu 2023 um 40 Prozent ein.

Zugleich forderte der UNO-Sicherheit­srat von den Houthis ein sofortiges Ende der Angriffe. Die Raketen- und Drohnenang­riffe würden den internatio­nalen Handel behindern, das Seerecht untergrabe­n und Frieden und Sicherheit in der Region schaden. Die Attacken müssten „sofort“enden, heißt es in der Resolution.

Hapag-Lloyd wird am Montag die Situation neu bewerten und entscheide­n, ob der Suezkanal wieder genutzt wird.

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