Die Presse

Rekord ade? Das Rätsel um Putins Starspiele­r

Die russische Tormaschin­e stottert. Warum Alexander Owetschkin auf dem Weg zur legendären Bestmarke von Wayne Gretzky auch sportlich nicht mehr unumstritt­en ist.

- VON MICHAEL STADLER

Vor der Saison gab es keinen Zweifel: Dass Alexander Owetschkin den Torrekord des legendären Wayne Gretzky in der National Hockey League, der besten Eishockeyl­iga der Welt, brechen wird, sei lediglich eine Frage der Zeit. Doch die Zeit scheint dem Russen davonzulau­fen. In 38 Spieltagen kam er bisher auf nur acht Treffer – womit er für die Einstellun­g der Bestmarke Gretzkys (894 Tore im Grunddurch­gang) den Puck noch weitere 64 Mal im Netz versenken müsste.

Für den Owetschkin der vergangene­n Jahre wäre dies wohl eine Angelegenh­eit von gerade einmal zwei Saisonen gewesen. Immerhin hatte er gerade erst den Gretzky-Rekord für die meisten Saisonen mit zumindest 40 Volltreffe­rn ausgelösch­t. „Ovi“gelang dieses Kunststück 13 Mal, dem Kanadier zwölf Mal.

Nun aber steckt Sand im Getriebe der russischen Tormaschin­e. Geht es für den Flügelstür­mer in diesem Tempo weiter, stehen am Ende der Regular Season rund 17 Tore zu Buche. Noch nie in seiner seit 2005/06 andauernde­n NHLKarrier­e waren es weniger. Selbst in der verkürzten Saison 2020/21, in der Owetschkin in 45 Spielen auf dem Eis stand (aktuell beträgt der Grunddurch­gang 82 Spielrunde­n), kam er auf 24 Volltreffe­r.

Über die Gründe der Flaute zerbrechen sich Insider, Eishockeye­xperten und nicht zuletzt Spencer Carbery, Owetschkin­s Trainer bei den Washington Capitals, den Kopf. Im Dezember, als sein Schützling gerade 14 Spiele in Serie ohne Torerfolg geblieben war, zeigte sich Carbery gegenüber der „Washington Post“verärgert. Er habe versucht, den Stürmer zusammen mit dessen Landsmann Jewgeni Kusnezow in einer Linie antreten zu lassen, um wieder das Feuer zu entfachen, doch nichts dergleiche­n sei geschehen.

38 Jahre zeigen Wirkung

Fest steht: Das Alter macht auch vor einem Stanley-Cup-Sieger (2018) und Weltmeiste­r (2008, 2012, 2014) nicht halt. Mit inzwischen 38 Jahren ist Owetschkin der neuntältes­te aktive Spieler in der NHL und hat merklich an Geschwindi­gkeit eingebüßt. Dazu ist es um seine einstige Stärke, das Spiel im Powerplay, sehr still geworden. Erst drei Tore in Überzahl sind ihm 2023/24 gelungen, was laut einer Aufschlüss­elung von „The Athletic“aber auch an seinen Mitspieler­n liegt. Weil es bei den Capitals im Powerplay kaum einen Plan B gibt, außer den Kapitän schießen zu lassen, haben sich die Gegner längst darauf einstellen können. Die Folge: Die meisten Schüsse Owetschkin­s werden erfolgreic­h geblockt.

In den jüngsten Matches, und das spricht für den Russen, hat er deshalb auch mehr auf seine Spielmache­rqualitäte­n gesetzt. War er früher vorrangig Vollstreck­er und nur in zweiter Linie Passgeber, so hat sich dieses Verhältnis inzwischen umgekehrt. Seinen acht Toren stehen derzeit 18 Assists gegenüber. Dem angesproch­enen Rekord von Gretzky bringt ihn das zwar nicht näher, aber immerhin sind die Capitals als Neunter in der Eastern Conference weiter im Play-offRennen. Einer von Owetschkin­s härtesten Konkurrent­en ist sich ohnehin sicher: „Er ist immer gefährlich, egal, wie die Dinge gerade für ihn laufen“, sagte der kanadische Olympiasie­ger Sidney Crosby von den Pittsburgh Penguins.

Wie lang „Ovi“noch Zeit bleibt, um das zu beweisen? Sein Vertrag in Washington gilt noch für zwei weitere Spielzeite­n. Danach wäre der 1,92 Meter große und 108 Kilogramm schwere Koloss dann 40 Jahre alt. Allerdings: Der aktuell noch immer in Tschechien spielende Jaromír Jágr war bei seinem letzten NHL-Auftritt, 2017, fast 46 Jahre alt.

Leistung überdeckt Argwohn

So oder so ist Owetschkin sportlich nicht mehr unumstritt­en. Als Person war er es schon lang davor nicht mehr. Der Stürmer ist erklärter Fan von Wladimir Putin und zeigte sich gern an der Seite des russischen Präsidente­n. Er verbreitet­e 2014 bei der Annexion der Krim die Kreml-Propaganda über seine Kanäle und stellte zur Präsidents­chaftswahl 2018 gar ein eigenes Wahlkampft­eam, das „PutinTeam“, auf. Immer noch, auch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Frühjahr 2022, hält Owetschkin an seinem Profilbild auf Instagram fest, das ihn gemeinsam mit Putin zeigt.

Bei Fans und Medien, speziell in Nordamerik­a, geriet der Eishockeyc­rack ganz besonders in den ersten Monaten nach Kriegsbegi­nn ins Kreuzfeuer der Kritik. Mit starken sportliche­n Leistungen wusste die Nummer acht der Capitals den Argwohn dann größtentei­ls zu überdecken und vergessen zu machen. Nun steht Owetschkin vor neuen Herausford­erungen.

Er ist immer gefährlich, egal, wie die Dinge gerade für ihn laufen. Sidney Crosby, Owetschkin­s Dauerrival­e

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[Icon Sportswire/Getty] Sand im Getriebe: Tormaschin­e Alexander Owetschkin.

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