„Radetzkymarsch“mit Zusatztafel
In guten wie in schlechten Zeiten: Wie soll ein Land mit seiner Vergangenheit umgehen? Es gibt eine Auswahl von verantwortungsbewusst bis entspannt.
Die Tweets von Eva Blimlinger sind eine nicht mehr wegzudenkende Tradition zum Jahreswechsel – wie der Glücksklee, das (illegale) Feuerwerk und das Neujahrsspringen. Es ist der Höhepunkt der Wokeness made in Austria. Alle Jahre wieder arbeitet sich die Kultursprecherin der Grünen am „Radetzkymarsch“, der Zugabe des Neujahrskonzerts, ab.
Heuer las sich das so: „Tradition wird hochgehalten bei den Philharmonikern und dem Publikum des Neujahrskonzerts, weil’s halt immer so schön ist, das Klatschen, Huldigung für den Sieg über Piemont und der k. k. Armee über die Wiener Bevölkerung in der ,Praterschlacht‘ #Radetzkymarsch in Zeiten der Kriege.“
Man könnte nun mit dem Intendanten des Klagenfurter Stadttheaters, Aron Stiehl, antworten, der in der „Kleinen Zeitung“zur Causa befragt wurde: „Frau Blimlinger hat recht – und auch nicht.“
Die Armee des Feldmarschalls Josef Wenzel Radetzky von Radetz schlug die italienische Unabhängigkeitsbewegung gegen die Habsburger-Herrschaft ebenso blutig nieder wie revolutionäre Unruhen in Wien im Jahr 1848 – darauf spielt die „Praterschlacht“an. Radetzky war – aus militärischer Sicht – einer der bedeutendsten Feldherren in der österreichischen Geschichte. Und Johann Strauss Vater widmete dem soldatischen „Helden“dann einen Marsch.
In der postheroischen Gesellschaft der Gegenwart wirkt das anachronistisch. Gewissermaßen haben heute die Bilder von Fußballstars die alten Gemälde der Kriegsherren abgelöst. Die Schlachten finden sublimiert in Stadien statt. Aber – auch darauf spielt Eva Blimlinger zu Recht an – die Zeit der echten Kriege ist nicht vorbei, sie ereignen sich sogar gerade wieder vor unserer Haustür.
Allerdings: Der Marsch zu Ehren Radetzkys wurde im August 1848 uraufgeführt. Das ist 175 Jahre her. Das Land hat sich seither weiterentwickelt, es hat zu demokratischer Reife, zu einem Selbstbewusstsein als friedliebende europäische Nation gefunden. Solang italienische Gäste beim „Radetzkymarsch“im Musikverein mitklatschen, sollten auch wir kein großes Drama daraus machen. Im kommenden Jahr dirigiert der Italiener Ricardo Muti das Neujahrskonzert. Und man wird nicht davon ausgehen können, dass er den „Radetzkymarsch“wird ausfallen lassen. Er hat das Neujahrskonzert nämlich schon sechs Mal dirigiert.
Über all dem steht eine grundsätzliche Frage: Wie soll ein Land mit seiner Vergangenheit umgehen? Am besten verantwortungsbewusst, ohne gleich alle Denkmäler einzureißen. Geschichtsbild mit Zusatztafel sozusagen. Vom LuegerDenkmal bis zur Stalin-Gedenktafel. Die Zäsur der NS-Zeit wiederum erfordert einen rigoroseren Zugang.
Ein spezieller Fall ist die Zeit der Monarchie: Es gab Krieg, Leid, Unterdrückung, die Herrschaft einer Familie und der sie unterstützenden Mächte. Aber ohne die Habsburger-Zeit ist Österreich nicht denkbar, es wäre nicht der Staat, der er heute ist. In seinen gewachsenen Strukturen, in seinem Selbstverständnis, in seinen Traditionen, gerade auch in der Kultur. Die Tourismuswirtschaft, speziell in Wien, steht – plakativ gesprochen – tief in der Schuld der Habsburger. Oder anders ausgedrückt: Die Habsburger sind mitschuld am Overtourism in Wien zur Adventsund Weihnachtszeit.
Braucht der „Radetzkymarsch“also eine Zusatztafel? Man kann das auch entspannter sehen. Es ist ein Stück Musik zum Mitklatschen. Und 175 Jahre alt. Wie diese Zeitung auch, ebenso gegründet im Revolutionsjahr 1848. Sie stand damals ebenfalls auf der anderen Seite der Barrikade. Jener der Revolutionäre.
Und wo endet das dann? Wer Radetzky cancelt, muss auch die Erinnerung an den Prinzen Eugen aus dem Stadtbild tilgen. Oder noch naheliegender: jene an Kaiser Franz Joseph I., mitverantwortlich für die rund 17 Millionen Toten des Ersten Weltkriegs.
Interessanterweise hat ausgerechnet der Österreichische Fußballbund (ÖFB) den „Radetzkymarsch“bei Länderspielen im Ernst-Happel-Stadion aus dem Programm gekippt. Ob das mit dem grünen Sportminister zu tun hat, weiß man freilich nicht.