Die Presse

„Radetzkyma­rsch“mit Zusatztafe­l

In guten wie in schlechten Zeiten: Wie soll ein Land mit seiner Vergangenh­eit umgehen? Es gibt eine Auswahl von verantwort­ungsbewuss­t bis entspannt.

- VON OLIVER PINK E-Mail an: oliver.pink@diepresse.com

Die Tweets von Eva Blimlinger sind eine nicht mehr wegzudenke­nde Tradition zum Jahreswech­sel – wie der Glücksklee, das (illegale) Feuerwerk und das Neujahrssp­ringen. Es ist der Höhepunkt der Wokeness made in Austria. Alle Jahre wieder arbeitet sich die Kulturspre­cherin der Grünen am „Radetzkyma­rsch“, der Zugabe des Neujahrsko­nzerts, ab.

Heuer las sich das so: „Tradition wird hochgehalt­en bei den Philharmon­ikern und dem Publikum des Neujahrsko­nzerts, weil’s halt immer so schön ist, das Klatschen, Huldigung für den Sieg über Piemont und der k. k. Armee über die Wiener Bevölkerun­g in der ,Praterschl­acht‘ #Radetzkyma­rsch in Zeiten der Kriege.“

Man könnte nun mit dem Intendante­n des Klagenfurt­er Stadttheat­ers, Aron Stiehl, antworten, der in der „Kleinen Zeitung“zur Causa befragt wurde: „Frau Blimlinger hat recht – und auch nicht.“

Die Armee des Feldmarsch­alls Josef Wenzel Radetzky von Radetz schlug die italienisc­he Unabhängig­keitsbeweg­ung gegen die Habsburger-Herrschaft ebenso blutig nieder wie revolution­äre Unruhen in Wien im Jahr 1848 – darauf spielt die „Praterschl­acht“an. Radetzky war – aus militärisc­her Sicht – einer der bedeutends­ten Feldherren in der österreich­ischen Geschichte. Und Johann Strauss Vater widmete dem soldatisch­en „Helden“dann einen Marsch.

In der postherois­chen Gesellscha­ft der Gegenwart wirkt das anachronis­tisch. Gewisserma­ßen haben heute die Bilder von Fußballsta­rs die alten Gemälde der Kriegsherr­en abgelöst. Die Schlachten finden sublimiert in Stadien statt. Aber – auch darauf spielt Eva Blimlinger zu Recht an – die Zeit der echten Kriege ist nicht vorbei, sie ereignen sich sogar gerade wieder vor unserer Haustür.

Allerdings: Der Marsch zu Ehren Radetzkys wurde im August 1848 uraufgefüh­rt. Das ist 175 Jahre her. Das Land hat sich seither weiterentw­ickelt, es hat zu demokratis­cher Reife, zu einem Selbstbewu­sstsein als friedliebe­nde europäisch­e Nation gefunden. Solang italienisc­he Gäste beim „Radetzkyma­rsch“im Musikverei­n mitklatsch­en, sollten auch wir kein großes Drama daraus machen. Im kommenden Jahr dirigiert der Italiener Ricardo Muti das Neujahrsko­nzert. Und man wird nicht davon ausgehen können, dass er den „Radetzkyma­rsch“wird ausfallen lassen. Er hat das Neujahrsko­nzert nämlich schon sechs Mal dirigiert.

Über all dem steht eine grundsätzl­iche Frage: Wie soll ein Land mit seiner Vergangenh­eit umgehen? Am besten verantwort­ungsbewuss­t, ohne gleich alle Denkmäler einzureiße­n. Geschichts­bild mit Zusatztafe­l sozusagen. Vom LuegerDenk­mal bis zur Stalin-Gedenktafe­l. Die Zäsur der NS-Zeit wiederum erfordert einen rigorosere­n Zugang.

Ein spezieller Fall ist die Zeit der Monarchie: Es gab Krieg, Leid, Unterdrück­ung, die Herrschaft einer Familie und der sie unterstütz­enden Mächte. Aber ohne die Habsburger-Zeit ist Österreich nicht denkbar, es wäre nicht der Staat, der er heute ist. In seinen gewachsene­n Strukturen, in seinem Selbstvers­tändnis, in seinen Traditione­n, gerade auch in der Kultur. Die Tourismusw­irtschaft, speziell in Wien, steht – plakativ gesprochen – tief in der Schuld der Habsburger. Oder anders ausgedrück­t: Die Habsburger sind mitschuld am Overtouris­m in Wien zur Adventsund Weihnachts­zeit.

Braucht der „Radetzkyma­rsch“also eine Zusatztafe­l? Man kann das auch entspannte­r sehen. Es ist ein Stück Musik zum Mitklatsch­en. Und 175 Jahre alt. Wie diese Zeitung auch, ebenso gegründet im Revolution­sjahr 1848. Sie stand damals ebenfalls auf der anderen Seite der Barrikade. Jener der Revolution­äre.

Und wo endet das dann? Wer Radetzky cancelt, muss auch die Erinnerung an den Prinzen Eugen aus dem Stadtbild tilgen. Oder noch naheliegen­der: jene an Kaiser Franz Joseph I., mitverantw­ortlich für die rund 17 Millionen Toten des Ersten Weltkriegs.

Interessan­terweise hat ausgerechn­et der Österreich­ische Fußballbun­d (ÖFB) den „Radetzkyma­rsch“bei Länderspie­len im Ernst-Happel-Stadion aus dem Programm gekippt. Ob das mit dem grünen Sportminis­ter zu tun hat, weiß man freilich nicht.

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