Ein einziger Hai muss für alle anderen büßen
Peter Benchley wollte seinen „Weißen Hai“nicht als Monstergeschichte gelesen wissen – allerdings sah Steven Spielberg das anders.
Eine glänzende Metapher für das korrupte kapitalistische System“nannte Fidel Castro den Roman „Der Weiße Hai“, als dieser 1974 erschien, andere Kritiker beschrieben ihn als „Allegorie von Watergate oder als die klassische Geschichte einer Männerfreundschaft“. Auf der Hardcover-Bestseller-Liste der „New York Times“hielt sich das Buch 44 Wochen lang, allerdings nicht auf Platz eins, wie der Autor Peter Benchley in seinem Vorwort zur Neuauflage (von der Verlegerin Vanessa Wieser selbst ins Deutsche übersetzt) etwas säuerlich anmerkt: „,Unten am Fluss‘, ein ätzendes Buch über Kaninchen, weigerte sich den Spitzenplatz zu räumen.“Also Killerhai gegen Kaninchen wie Simmering gegen Kapfenberg?
Nicht ganz, denn als Killer wollte Benchley seinen Fisch nicht gelesen haben. Er versichert, „dass jedes in ,Der weiße Hai‘ geschilderte Verhalten – im Buch, wohlgemerkt, nicht im Film – auf einer tatsächlichen Begebenheit beruht. Die Vorfälle waren nicht alle auf einmal passiert und nicht vom selben Hai verursacht, sondern im Lauf der Jahre in diversen Meeren der Welt . . . nur eben nicht aus den von mir behaupteten Gründen oder den von mir ausgedachten Auswirkungen.“Das mag wohl Auslegungssache sein, denn einem einzigen Individuum allein alles aufzubürden, was mehrere Tiere über mehrere Jahre hinweg „verbrochen“haben, ist sehr wohl eine negative Mystifizierung hin zu einem Monster, auch wenn es nicht so gemeint gewesen sein mag.
Heute, nachdem Benchley durch Begegnungen mit Haien auf Expeditionen und zahlreiche Gespräche mit Wissenschaftlern und Fischern sein Wissen über Haie weiter ausgebaut hat, würde er „das Buch so nicht mehr schreiben können“. Und obwohl er die beiden ersten Entwürfe für das Drehbuch für Steven Spielbergs Regiearbeit geschrieben hat, war er mit den zahlreichen Änderungen, die Spielberg und später Carl Gottlieb vorgenommen hatten, nicht einverstanden, konnte aber nichts mehr machen, weil die Verfilmung abgeschlossen war und „Der Weiße Hai“längst im Verleih – das hatte er allerdings erst aus der Zeitung erfahren.
Inzwischen gibt es drei Nachfolgefilme, aber es lohnt sich, das Buch zu lesen, das einen stärkeren Fokus auf das Verhalten und die Psyche der Menschen in der Kleinstadt legt, vor deren Küste der Riesenfisch auftaucht und eine junge Frau tötet. Der Polizeichef Martin Brody lässt sofort alle Strände sperren, später wird er vom Bürgermeister gezwungen, sie wieder zu öffnen – der Bürgermeister selbst ist Opfer von mafiösen Kreisen, die ihm vor Jahrzehnten Geld geliehen haben, und die sich das lukrative Sommergeschäft an der Küste von Long Island nicht nehmen lassen wollen. Die Zeit um den 4. Juli ist Hochsaison, eine Sperrung der Strände für die Finanz- und Immobilienhaie natürlich undenkbar.
Der Ichtyologe Matt Hooper wird herangezogen, um das Verhalten des Fisches zu analysieren. Brody steht ihm von Anfang an skeptisch gegenüber, er hält ihn für einen jungen Schnösel, und sein Misstrauen bewahrheitet sich, zumindest auf menschlicher Ebene, denn Hooper lässt sich auf eine Affäre mit Brodys Frau ein . . . Benchleys Buch ist gut aufgebaut, mit den Spannungsbögen an den richtigen Stellen, der Fisch kommt seltener vor, als man glauben mag, die Schilderungen des Verschlingens der Opfer sind knapp und wenig schaulustig, umso mehr Horror lösen sie aus. Der Showdown am Ende konzentriert sich auf Brody, Hooper und den grantigen Fischer Quint, mit dessen Boot sie aufs Meer fahren, um den Hai zu jagen. Das Ende ist hier anders als im Film, es gibt keine siegreichen Helden, auf irgendeine Weise sind alle Verlierer. Nur der Hai bleibt.