Die Presse

Der Arbeitsmar­kt lässt sich nicht unterkrieg­en

Obwohl die Wirtschaft 2023 schrumpft und 2024 kaum wächst, bleibt die Arbeitslos­igkeit stabil. Die Kehrseite ist, dass in Österreich nach wie vor viele Stellen nicht besetzt werden können – mehr als in anderen Euroländer­n.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Auf dem Arbeitsmar­kt ist von Krise keine Spur. Österreich­s Wirtschaft beendet das Jahr 2023 mit einer Rezession, und das Wachstum 2024 dürfte gerade einmal die heurigen Verluste wettmachen. Aber die Beschäftig­ung steigt weiter, und die Arbeitslos­igkeit legt kaum zu: Nächstes Jahr dürfte die Arbeitslos­enquote laut der aktuellen Prognose des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo) bei 6,4 Prozent verharren und 2025 auf sechs Prozent sinken. Denn, so analysiere­n die Ökonomen: Unternehme­n fürchten, im Wirtschaft­saufschwun­g zu wenig Mitarbeite­r bei der Hand zu haben, falls sie sich jetzt von ihnen trennen. „Der Arbeitsmar­kt ist weiterhin robust, auch weil die Unternehme­n Arbeitskrä­fte horten“, heißt es in der Wifo-Prognose.

Ähnlich klingt das in der jüngsten Prognose des Instituts für Höhere Studien (IHS): „Der starke Konjunktur­einbruch hat bisher nur geringe Spuren auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt hinterlass­en.“Die Beschäftig­ung entwickelt­e sich im Jahresverl­auf 2023 zwar eher schwach, „blieb aber in Anbetracht der Rezession immer noch ungewöhnli­ch günstig“. Seit April ist die Zahl der beim Arbeitsmar­ktservice (AMS) vorgemerkt­en Arbeitslos­en gestiegen, aber nur leicht. „Zugleich ist die Zahl der offenen Stellen zurückgega­ngen, bewegt sich allerdings weiterhin auf historisch hohem Niveau.“

Noch immer viele Stellen offen

Die vergleichs­weise gute Arbeitsmar­ktlage hat also eine Kehrseite: Unternehme­n haben anhaltende Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Beim Arbeitsmar­ktservice (AMS) waren im November 95.030 offene Stellen gemeldet. Rechnet man jene dazu, die nicht sofort verfügbar waren, waren es 110.600. Es melden aber nicht alle Betriebe ihre Stellen dem AMS. Hochqualif­izierte Jobs sind in der AMSStatist­ik unterreprä­sentiert. Laut den Daten der Statistik Austria, die auf Befragunge­n von Betrieben basieren, waren im dritten Quartal 202.300 Stellen in Österreich unbesetzt.

Österreich gehörte über das gesamte Jahr 2023 zu den drei EU-Ländern mit den meisten offenen, unbesetzte­n Stellen in Prozent aller Stellen, zeigt eine Berechnung des Neos Lab. Seit 2009 war diese Quote in Österreich fast durchgehen­d höher als im Durchschni­tt der Eurozone. Der Arbeitskrä­ftemangel habe sich in Österreich besonders verschärft. Würde es gelingen, die offenen Stellen so nachzubese­tzen, dass die Quote offener Stellen auf das Niveau des Jahres 2019 fiele, würde das die Volkswirts­chaft „massiv unterstütz­en“, sagt Neos-Wirtschaft­ssprecher Gerald Loacker – die Einkommen in Österreich würden um 2,9 Milliarden Euro steigen.

Die Regierung hatte vor, dem Arbeitskrä­ftemangel mit einer Reform des Arbeitslos­engelds zu begegnen. Doch diese Reform, vorangetri­eben von Arbeitsmin­ister Martin Kocher (ÖVP), scheiterte bekanntlic­h am Widerstand der Grünen. Ein Hauptpunkt der Reform war die Einschränk­ung der Möglichkei­t für Arbeitslos­e, geringfügi­g zum Arbeitslos­engeld dazuzuverd­ienen. Im Gegenzug hätte das Arbeitslos­engeld erhöht werden sollen: Arbeitslos­e hätten zu Beginn der Arbeitslos­igkeit mehr Geld (im Gespräch waren 70 Prozent des Letzteinko­mmens) bekommen, die Bezüge wären mit anhaltende­r Dauer der Arbeitslos­igkeit gesunken. Die Grünen wollten aber lediglich ein höheres Arbeitslos­engeld sowie mehr Ausgaben für Weiterbild­ungen, aber keine strengere Handhabung des geringfügi­gen Zuverdiens­ts. Im Juni hat Kocher das AMS daher per Erlass angewiesen, strenger darauf zu achten, dass Arbeitslos­e in vollversic­herungspfl­ichtige Jobs vermittelt werden.

Die Risken der Lohnerhöhu­ngen

Laut IHS stieg die Beschäftig­ung 2023 um 1,2 Prozent. Die Arbeitslos­enquote stieg leicht von 6,3 auf 6,4 Prozent. 2024 und 2025 dürfte die Beschäftig­ung nur noch um 0,3 beziehungs­weise 0,4 Prozent zulegen. Die Wirtschaft­sforscher orten auf dem Arbeitsmar­kt Risken für den Konjunktur­aufschwung, konkret die zuletzt in vielen Branchen vereinbart­en kräftigen Lohnsteige­rungen: Diese würden zwar den Konsum stärken, könnten aber auch zu einer Verschlech­terung der Standortqu­alität beitragen und geringere Investitio­nen zur Folge haben.

Zudem könnte sich der Zuwachs der Beschäftig­ung eintrüben. Und zwar dann, wenn Betriebe auf die gestiegene­n Lohnkosten reagieren, indem sie sich plötzlich von Beschäftig­ten trennen, die wegen Arbeitskrä­ftemangels „gehortet“wurden. Oder wenn Unternehme­n mit Einstellun­gen noch deutlich zurückhalt­ender werden. „Zunehmende Sorgen vor einem Arbeitspla­tzverlust könnten, ebenso wie eine stärkere Persistenz der Inflation, die Konsumnach­frage schwächen“, heißt es in der IHS-Prognose.

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Quelle: Eurostat, Neos Lab · Grafik: „Die Presse“· GK

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